Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung
Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung
(Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG)
Sehr geehrte Damen und Herren,
haben Sie vielen Dank für die Übermittlung des obigen Referentenentwurfs.
Einige Intentionen des Gesetzes, wie die Möglichkeit der Berücksichtigung von unterhaltsberechtigten nicht gemeinsamen Kindern in den Versichertenbeiträgen und die selbstverständliche Übernahme von Leistungen für intersexuelle Schwangere und Mütter begrüßen wir im Rahmen der familienfreundlichen Ausgestaltung, die allen Gesetzen und Verordnungen innewohnen sollte. Insbesondere begrüßen wir die geplante Rahmenvereinbarung für ambulante Kinderhospize.
Wir begrüßen ebenso die Weiterförderung der Akademisierung von Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie.
Im Gesetz gibt es darüber hinaus auch Passagen, zu denen die DGKJP als wissenschaftliche Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie aus ihrer Fachlichkeit heraus Stellung beziehen möchte.
Zu § 75 SGB V
Absatz 1 a), Ergänzung Satz 3:
Erhebliche Bedenken haben wir gegenüber einer telefonischen Ersteinschätzung bei psychiatrischen Notfällen von Kindern und Jugendlichen. Hier ist es in aller Regel erforderlich, sowohl das Kind als auch seine Bezugspersonen – mindestens mit Videointeraktion – sehen zu können. Eine telefonische Ersteinschätzung bietet dem/der Kinder- und Jugendpsychiater*in bei Kindern und Jugendlichen, die sich verweigern oder verbal nicht differenziert ausdrücken können, zu wenig verlässliche Befundgrundlagen.
Die DGKJP ist besorgt, dass infolge dieses Abschnitts die Kassenärztlichen Vereinigungen sich nicht mehr verpflichtet sähen, bei der derzeitigen Mangelversorgung weiterhin mit aller Kraft auch in unserem Fachgebiet für die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung einzutreten.
Absatz 1 a), Ergänzung Satz 4:
Demgegenüber begrüßen wir die Regelung in § 75 SGB V, dass nach Ersteinschätzung im Krankenhaus für eine fachärztliche Weiterbehandlung keine Überweisung mehr erforderlich sein soll. Es sei darauf hingewiesen, dass es aktuell mangels der Möglichkeit eines flächendeckenden fachspezifischen Notfalldienstes durch die Vertragsärzte die Notdienste der kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken einschließlich der kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanzen sind, welche den größten Teil kinder- und jugendpsychiatrischer Notfälle behandeln, an Wochenend- und Feiertagen nahezu alle. In der Regel erfolgt eine probate Indikationsstellung zur fachärztlichen Weiterbehandlung. Darüber hinaus wären allerdings verbindliche Terminvergaben durch die Servicestellen – die leider in unserem Fachgebiet oft überfordert sind – bei Vertragsärzten wünschenswert. Besonders beklagenswert ist, dass in Einzelfällen seitens der Terminservicestellen mangels fachärztlicher Termine wiederum an psychiatrische Institutsambulanzen verwiesen wird, die Behandlung dort dann aber durch die Kostenträger in Frage gestellt wird, wenn die Einschlusskriterien für eine PIA-Behandlung nicht als erfüllt angesehen werden, z.B. hinsichtlich der Dauer der Erkrankung.
Zu § 118 (2):
„Die Vereinbarung nach Satz 2 ist spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Absatz 6b zu überprüfen und an die Festlegungen der Richtlinie dahingehend anzupassen, dass den Einrichtungen nach Satz 1 auch die Teilnahme an der Versorgung nach § 92 Absatz 6b ermöglicht wird.“
Noch deutlicher auf Seite 51 RefE: „Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung werden verpflichtet, den Vertrag nach § 118 Absatz 2 Satz 2 SGB V und die Vereinbarung nach § 118 Absatz 3 SGB V zu den psychiatrischen und psychosomatischen Institutsambulanzen an die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu einer berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung psychisch Kranker anzupassen, um den psychiatrischen und psychosomatischen Institutsambulanzen – neben der Erfüllung ihrer bisherigen Aufgaben – auch eine sachgerechte Teilnahme an diesem Versorgungsbereich zu ermöglichen.“
Hierzu gibt es keine Klarstellung des Gesetzgebers, ob mit der „berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung psychisch Kranker“ nicht per se das gesamte Tätigkeitsspektrum einer kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanz bereits umfasst ist. Fast alle PIA-Fälle benötigen eine multiprofessionelle Diagnostik und Behandlung, die durch die PIA-Leitung koordiniert wird, ebenfalls Leistungen aus anderen SGB-Bereichen.
Auch wenn laut den Ausführungen des RefE auf S. 65 keine wesentliche Kostenwirksamkeit erwartet wird, muss vor einer missverständlichen Interpretation dieses Absatzes gewarnt werden. Zumal die Formulierung in § 120 (2) Satz 7 SGBV, die mit dem Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz eingeführt wurde, nicht gleichzeitig verändert und damit nicht unsere berechtigte Befürchtung geheilt wird, die künftige Finanzierung aller Tätigkeiten der PIAs solle über den EBM erfolgen. Da die Interpretation an den G-BA delegiert wird, halten wir eine gesetzgeberische Klarstellung nach wie vor für erforderlich. Weder den Stellungnahmen der Fachverbände noch den Empfehlungen der Bundesratsdrucksache 505/1/19 ist das Bundesgesundheitsministerium diesbezüglich bisher gefolgt.
Nach wie vor lautet der § 120 (2) SGB V, Satz 7: „Die Vergütung der Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen soll der Vergütung entsprechen, die sich aus der Anpassung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen nach § 87 Absatz 2a Satz 26 ergibt.“
Lösungsvorschlag:
Klarstellend wäre aus unserer Sicht, wie in unserer damaligen Stellungnahme zum Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz gefordert, den neuen Satz 7 in § 120 (2) wieder ganz zu streichen. Er ist, wie alle Diskussionen im Umfeld des damaligen Gesetzgebungsverfahrens gezeigt haben, hochgradig irreführend und konkurriert überdies mit dem Prüfauftrag in § 17d KHG.
Hilfsweise wäre folgende Einfügung in § 120 (2) SGBV vorzusehen: Die Vergütung der Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen für Koordinationsleistungen nach § 92 Absatz 6b soll der Vergütung entsprechen, die sich aus der Anpassung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen nach § 87 Absatz 2a Satz 26 ergibt.“.
Zu § 120 (3b):
Hier wird eine neue „Abrechnungsvoraussetzung der Leistungen von Notfallambulanzen der Krankenhäuser“ eingeführt, ohne dass die PIAs ausgenommen sind.
Wir machen darauf aufmerksam, dass die PIAs sich einer „standardisierten Ersteinschätzung des ambulanten medizinischen Versorgungsbedarfs von Hilfesuchenden, die sich an Notfallambulanzen der Krankenhäuser wenden“ weitgehend entziehen. Ob es sich bei einer Notfallvorstellung um eine Intoxikation, eine suizidale Krise oder eine psychotische Exazerbation handelt, bedarf sehr unterschiedlicher Zugänge. Keinesfalls darf eine notfallmäßige Vorstellung und Abrechenbarkeit in einer PIA von dieser Vorgabe abhängig gemacht werden, da in aller Regel eine ausführliche psychiatrische Befunderhebung und Anamnese durchgeführt werden muss, um eine korrekte Diagnose und Weiterbehandlungsindikation zu treffen.
Nachweise zur Durchführung der Ersteinschätzung müssten für den psychiatrischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich getrennt erstellt werden.
Wir möchten ferner darauf hinweisen, dass in unserem Fachgebiet rund Hälfte aller stationären Aufnahmen notfallmäßig erfolgt. Noch mehr Patient*innen werden nicht stationär, sondern ausschließlich nach Notfallvorstellung ambulant versorgt. Diese Vorstellungen nicht als PIA-Leistung vergütet zu bekommen, da ein somatischer Bogen nicht aussagekräftig ist, wäre nicht sachgerecht.
Lösungsvorschlag:
Einfügung eines Satzes: „Notfallmäßige Vorstellungen in Psychiatrischen Institutsambulanzen nach § 118 SGB V sind von dieser Regelung ausgenommen“.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. M. Kölch
Präsident der DGKJP