Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder
Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder
Sehr geehrte Damen und Herren,
die DGKJP hat den Referentenentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder zur Kenntnis genommen. Zunächst bedanken wir uns, dass die DGKJP, als wissenschaftliche Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, psychotherapie und –psychosomatik nachträglich noch ins Stellungnahmeverfahren aufgenommen wurde. Die DGKJP vertritt dasjenige Fachgebiet, das sowohl in Diagnostik, Therapie, aber auch in forensischen Fragen von sexueller Gewalt gegen Kinder involviert ist. Insofern bitten wir für die Zukunft um entsprechende Berücksichtigung.
Generell können Gewalt und insbesondere sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche schwerste physische und insbesondere psychische Folgen haben. Die negativen Folgen von sogenannten adverse chidlhood experiences (ACE) sind wissenschaftlich gut belegt. Generell sind entsprechende Taten strafrechtlich bereits heute sanktioniert. Die medienwirksamen Fälle der letzten Zeit zeichnen sich unserer Kenntnis nach durch mehrerlei Charakteristika aus: die Dimension pädokrimineller Taten durch Nutzung von Internet und entsprechenden Netzwerken, die über lange Zeit stattfindende intrafamiliäre (sexuelle) Gewalt, die offenbar nicht suffizient funktionierenden Schutzmechanismen im Rahmen des staatlichen Schutzauftrags, Probleme im Bereich der Justiz aufgrund von Zuständigkeitsfragen, Qualifikationsfragen etc..
Zur Frage der Verschärfung der Strafmaße nimmt die DGKJP keine Stellung, da dies primär eine Frage der gesamtgesellschaftlichen Norm ist und es gerade bei schweren Fällen u.E. nach fraglich bleiben muss, ob der Abschreckungsgedanke tatsächlich Taten verhindern kann. Wir begrüßen jedoch explizit, dass bisher nicht vom Gesetz erfasste Straftatbestände (wie das Bestimmen zu sexuellen Handlungen vor einem Täter oder mit Dritten) in das Gesetz aufgenommen werden.
Positiv bedeutsam ist v.a. für die vielen aus unserer therapeutischen Praxis bekannten Fälle, in denen sexueller Missbrauch in Abhängigkeitsbeziehungen stattfindet, die Verlängerung der Verjährungsfrist bis zum vollendeten 30. Lebensjahr des geschädigten Kindes.
Wir rechnen damit, künftig bei Jugendlichen als Tatverdächtigen verstärkt als gerichtliche Sachverständige herangezogen zu werden, zumal auch versuchte Tatsachverhalte nun unter Strafe gestellt werden sollen. Wir machen aber darauf aufmerksam, dass nicht jedes sexuelle Probierverhalten (wozu auch das Herunterladen von Darstellungen jüngerer Kinder durch entwicklungsverzögerte Jugendliche gehören würde oder dessen Versuch) pathologisch ist oder kriminalisiert werden sollte. Insofern ist der Einschub im Gesetz bedeutsam, dass das Gericht von einer Verfolgung absehen kann, wenn laut § 176 (2) NEU „der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist“. Die Ausführungen in der Begründung (S. 37) sprechen dafür, dass der Gesetzgeber das wichtige sexuelle Probierverhalten gerade nicht adressieren will, sofern kein „unlauteres Verhalten“ an den Tag gelegt wird.
Der DGKJP ist der Präventionsaspekt hier besonders wichtig. Insofern begrüßen wir Änderungen im Bereich des Bundeszentralregistergesetzes, der obligaten Anhörung von Kindern durch Gerichte und die neuen Regelungen zur Qualifikation sowohl von Richter*innen wie auch von Verfahrensbeiständen. Die frühe Bestellung eines Verfahrensbeistandes begrüßen wir ausdrücklich.
Die Änderungen im Bundeszentralregistergesetz sind zwar hilfreich, reichen u.E. aber nicht aus, wenn das Beiziehen des erweiterten Führungszeugnisses nicht – einschließlich einer regelmäßigen Erneuerung der Auskunft – für alle Personen, die haupt- oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten, verpflichtend gemacht wird. Das betrifft auch den medizinischen Bereich. Hier ist der Kinderschutz über Empfehlungen bisher leider nicht hinaus gekommen.
Das Schaffen spezieller Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter*innen, Jugendrichter*innen und Jugendstaatsanwält*innen durch eine spezifische Qualifikation ist dringend erforderlich, zumal das Studium Grundvoraussetzungen für den Umgang mit kindlichen oder jugendlichen Zeugen nicht vermittelt. Unverständlich bleibt uns, warum Verfahrensbeiständen eine 2jährige Fortbildungsverpflichtung auferlegt wird, aber nicht Familien- und Jugendrichter*innen und Jugendstaatsanwält*innen. Ärzt*innen müssen sich regelmäßig verpflichtend fortbilden und dieses der Ärztekammer und sofern abhängig beschäftigt dem Arbeitgeber nachweisen.
Sprachlich regen wir an, nicht von „Kenntnisse auf dem Gebiet … der Psychologie und der Kommunikation mit Kindern verfügen“ (§ 23b Abs.3 FamFG) zu sprechen, sondern von entwicklungspsychologischen Kenntnissen (so wie es auch im Falle der Verfahrensbeistände formuliert ist).
Änderungsvorschlag: „Kenntnisse auf dem Gebiet … der Entwicklungspsychologie und der Kommunikation mit Kindern verfügen.“
Ähnliches gilt für die Änderung in Art. 6 JGG § 37. Die Jugendpsychologie als solche existiert nicht, der Fachbegriff lautet „Entwicklungspsychologie“ (wie korrekt im § 158a FamFG für die Verfahrensbeistände erwähnt). Wir empfehlen hier aber aufgrund der wissenschaftlich gut belegten hohen Prävalenz von psychischen Störungen bei jugendlichen und adoleszenten Straftäter*innen und der Relevanz von psychischen Störungen sowohl für die Prognose und den Verlauf auch den Begriff „Psychopathologie“ aufzunehmen.
Änderungsvorschlag: „Kenntnisse auf den Gebieten … Sozialpädagogik, der Entwicklungspsychologie und -psychopathologie verfügen.“
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. Michael Kölch
Präsident