Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen
Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
„Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen“
Generell ist die Intention des Gesetzesvorhabens zu begrüßen, dass Kinder mit unklarer Geschlechtszuordnung bei Geburt keiner „angleichenden“, d. h. „geschlechtszuweisenden“ Operation unterzogen werden dürfen, wir begrüßen auch, dass dieses Vorgehen künftig strafbewehrt sein soll.
Einen Änderungs- oder Ergänzungsbedarf sehen wir jedoch in Hinsicht auf die Frage der Sachverständigengutachten und die Frage der Ausdehnung der Regelung auf transsexuelle Kinder und Jugendliche.
Zur Frage der Sachverständigengutachten
Die DGKJP ist sehr verwundert, dass für Sachverständigengutachten nach dem Wortlaut des Art. 2 Punkt 2, Einfügung § 163 c), ausschließlich Ärzte benannt sind, die „Erfahrung mit operativen Eingriffen an den inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen eines Kindes haben“ müssen. Das schließt Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (zumindest nach der gültigen Musterweiterbildungsordnung) aus. Die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit wird nach dem Wortlaut des Paragraphen ausschließlich den Familienrichterinnen und -richtern und der Einschätzung operativ erfahrener Ärzte auferlegt. Eine abweichende Konkretisierung in der Begründung erfolgt nicht. Dabei dürfte im Falle etwa von Intelligenzminderung (häufig mit Fehlbildungen und Intersexualität koinzident) oder im Falle von sekundären psychischen Störungen (ebenfalls mit Intersexualität häufig koinzident, nicht zuletzt infolge der noch nicht durchgehend auf Diversität eingestellten sozialen Umgebungen) die Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit Jugendlicher für die damit befassten Familienrichterinnen und -richter ohne jugendpsychiatrische Expertise sehr schwierig und fehlerbehaftet sein.
Wir halten in den Fällen, in denen eine psychische Beeinträchtigung oder gar Erkrankung manifest ist oder auch nur droht, kinder- und jugendpsychiatrische Expertise im familiengerichtlichen Verfahren für unabweisbar. Zwar sind Familienrichter frei in ihrer Entscheidung, zusätzliche Sachverständige beizuziehen, jedoch bedürfte es aus unserer Sicht einer gesetzlichen Klarstellung dahingehend, dass je nach Lage des Einzelfalls die Aufzählung der Sachverständigen seitens des Gesetzgebers nicht abschließend gemeint ist.
Formulierungsvorschlag:
Einfügung hinter „Der Sachverständige muss über eine ärztliche Berufsqualifikation verfügen und Erfahrung mit operativen Eingriffen an den inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen eines Kindes haben“:
„und/ oder über eine einschlägige kinder- und jugendpsychiatrisch-psychotherapeutische Expertise verfügen.“
Zur Ausdehnung des Regelungsentwurfs auf transsexuelle Kinder und Jugendliche
Transsexuelle Kinder und Jugendliche werden ausdrücklich erwähnt. S.11: „Dabei soll das Verbot nicht auf „geschlechtsangleichende“ Operationen, das heißt solche zur Beendigung eines Zustands der geschlechtlichen Uneindeutigkeit beschränkt werden. Vielmehr soll es im Sinne einer allgemein kindesschutzrechtlichen Regelung auf alle „geschlechtsverändernden“ Operationen und damit auf jede Änderung von jedem Geschlecht hin zu einem jeweils anderen erstreckt werden.“ In der gesetzlichen Begründung (S. 18) findet sich zusätzlich die Erwähnung der Anzahl der Diagnosen von Transsexualität bei Kindern und Jugendlichen (bb) sowie der Anzahl durchgeführter geschlechtsverändernder Operationen. (S.18, cc).
Wir begrüßen ausdrücklich, dass der familiengerichtliche Schutz auch auf minderjährige Personen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung ausgedehnt werden soll.
Allerdings ist nach dem aktuellen Wortlaut des Referentenentwurfs davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der Meinung ist, dass ein 14jähriges Kind sich auch bei Vorliegen einer Transsexualität eigenständig zu einer geschlechtsumwandelnden Operation entschließen und einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht stellen kann – das darüber hinaus auch noch mit nur einem kinderchirurgischen Sachverständigengutachten, wie weiter oben diskutiert. Diese Möglichkeit trifft unsererseits auf erhebliche fachliche Bedenken.
Wir halten sowohl den Zeitpunkt von 14 Jahren für die Einwilligungsfähigkeit zu einer Transgender-Operation in dieser Allgemeinheit für zu früh, als auch die isolierte Hervorhebung der Operation für fachlich nicht geboten.
- Die Einwilligungsfähigkeit muss die Tragweite des Eingriffs abschätzen. Mit 14 Jahren ist sexuelles Erleben eben erst im Entstehen, und die Auseinandersetzung mit einer Transsexualität kann durchaus noch ambivalent sein, d. h. die transsexuelle Identifizierung ist in vielen Fällen im Rahmen der steigenden Prävalenz noch nicht eindeutig. Ob eine wahre Transsexualität vorliegt und nicht nur eine „Geschlechtsunzufriedenheit“ infolge pubertärer Konfliktlagen, muss nach allgemeinem fachlichen Konsens per se ein Facharzt oder eine Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, idealerweise in einer spezialisierten Beratungsstelle, feststellen.
- Ansonsten gilt für die Einwilligungsfähigkeit das unter 1. gesagte – es muss im Fall einer psychiatrischen Erkrankung auf jeden Fall ein jugendpsychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt werden.
- Auch im Falle einer Geschlechtsidentitätsstörung sind vor eine geschlechtsangleichende Operation erst die Schritte pubertätsunterdrückender Hormontherapie und gegengeschlechtlicher Hormontherapie gestellt, parallel dazu bisher eine Phase an Psychotherapie zur Unterstützung der Identitätsentwicklung und außerdem mindestens ein Jahr mit probatorischem Leben in der transgender-Zuordnung zur Realitätsüberprüfung, so dass eine Einwilligungsmöglichkeit mit bereits 14 Jahren in eine geschlechtsumwandelnde, finale Operation und deren Durchführung in diesem Alter bereits in Anbetracht der etablierten fachlich-klinischen Abläufe, die ihre eigene Zeit benötigen, obsolet ist. Eine Expertise der Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum Thema wurde erst im November 2019 veröffentlicht (Aktenzeichen WD 9 – 3000 – 079/1 vom 15.11.2019) und verhält sich zu geschlechtsangleichenden Operationen bei Genderdysphorie analog (S. 40 f) so, dass diese nach derzeitigem − wenngleich unzureichendem − wissenschaftlichem Kenntnisstand nur in klinischen Ausnahmefällen allenfalls ab dem Alter von 16 Jahren durchgeführt werden sollen. Eine S3-Leitlinie unter Federführung unserer Fachgesellschaft zum Thema der diagnostischen und therapeutischen Vorgehensweisen bei Transgender-Jugendlichen ist bei der AWMF angemeldet und derzeit in Arbeit.
Ob nun eine geschlechtsverändernde Operation ab dem Alter von 16 Jahren erfolgen können darf − mit familiengerichtlicher Zustimmung und selbstverständlich einem kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigengutachten – oder ob nicht eher, wie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages referiert, das Alter von 18 Jahren dafür maßgeblich sein sollte, ist zusammenfassend derzeit fachlich nicht fundiert zu befinden. Hier überwiegt der Einzelfall. Keinesfalls jedoch ist das Alter von 14 Jahren dafür als adäquat anzunehmen.
Daher plädieren wir dafür, Jugendliche mit Geschlechtsidentitätsstörung zumindest aus der altersbezogenen Regelung herauszunehmen und den Regelungsvorschlag ab dem Alter von 14 Jahren ausschließlich auf Kinder mit uneindeutiger Geschlechtszugehörigkeit zu beziehen.
Formulierungsvorschlag:
Aufnahme einer Formulierung unter „Ziele“ – oder hilfsweise in die Begründung:
„Eine feste Altersgrenze für die Einwilligungsfähigkeit in eine geschlechtsumwandelnde Operation bei Jugendlichen mit Geschlechtsidentitätsstörung verbietet sich nach heutiger Kenntnis. Sie unterliegt ebenfalls einer familiengerichtlichen Zustimmung, erfordert jedoch eine zusätzliche sachverständige Begutachtung durch einen diesbezüglich ausgewiesenen Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie.“