Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 25.6.2020

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir übersenden Ihnen heute eine Stellungnahme zur Reform des Vormundschaftsrechts.

Wir bitten höflich darum, künftig über Gesetzgebungsverfahren, die unser medizinisches Fachgebiet unmittelbar oder mittelbar betreffen, informiert zu werden. Wir vertreten als Wissenschaftliche Fachgesellschaft das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und sind bei der AWMF, beim Bundesgesundheitsministerium und beim Gemeinsamen Bundesausschuss diesbezüglich als stellungnahmeberechtigte Fachgesellschaft registriert.
Da die Zuständigkeit unseres Fachgebietes sich im Wesentlichen auf Minderjährige bezieht, nehmen wir ausschließlich zur Reform des Vormundschaftsrechts Stellung.

Allgemeines:
Dem Amtsrichterverband ist zuzustimmen, dass an der überkommenen Bezeichnung des Begriffs „Mündel“ noch gearbeitet werden könnte. Die qua Vormundschaft Betreuten als „Kind“ zu bezeichnen wäre zwar möglich, wir würden jedoch einen Begriff wie „Betreuungskind“ vorziehen, um zu betonen, dass es um ein Betreuungsverhältnis mindestens ebenso wie im Betreuungsrecht geht, mit zusätzlichem pädagogischen Anspruch. Insofern setzen wir in unserem nachfolgenden Text den Begriff „Mündel“ jeweils in eckige Klammern als [Mündel].

Zustimmend und positiv nehmen wir zur Kenntnis, dass die Partizipation des Kindes, das einen Vormund erhält, und die Zustimmung für Vorgänge ab dem 14. Lebensjahr festgeschrieben werden sollen, sowie dass die Kinder und Jugendlichen Antragsrechte erhalten und ihre Subjektstellung betont wird.

Ebenfalls ist für uns der Schritt besonders bedeutsam, dass ein persönlich benannter Vormund mit der Pflicht zu monatlichem persönlichem Kontakt (in unserer Ausdrucksweise ein „aktiv in Beziehung gehender Vormund“) und ein Recht des [Mündels] auf persönlichen Kontakt festgeschrieben wird, und dass möglichen Geschwisterrivalitäten mit der Möglichkeit, unterschiedlicher Vormünder für Geschwister zu bestellen, vorgebeugt wird.

Wir begrüßen die Stärkung der Rechte von Pflegekindern dahingehend, dass auch die Personen bei denen sie leben zu „Pflegern“ bestellt werden können, ebenso dass infolge möglicher Interessenkollusionen Einrichtungsleitungen hiervon ausgenommen sind.

Letztlich erscheint uns der veränderte Verfahrensweg der Bestellung eines Vormunds durch das Familiengericht sehr gut praktikabel, dass nicht einfach eine Überlassung der Bestimmung des Vormundes an das Jugendamt erfolgen darf, sondern das Jugendamt interimsweise für eine Zeit von 3 Monaten für die Suche nach einem geeigneten Vormund bestellt werden kann. Ebenfalls ist sehr zu begrüßen, dass auch die Jugendämter indirekt verpflichtet werden, einen Vormund nicht nach dem Buchstaben- oder Wohngebietsprinzip, sondern nach der persönlichen Eignung zu bestimmen.

Einen Nachbesserungsbedarf sehen wir in folgenden Punkten:

1. Auswahl des Vormunds und Vorüberlegungen
Zwar begrüßen wir explizit, dass nun vor der Bestellung eine Auskunft nach § 41 BZR für jeden Vormund eingeholt und regelmäßig alle 2 Jahre überprüft wird. Allerdings müsste diese auch für einen Pfleger für besondere Bereiche eingeholt werden, sofern dieser persönlichen Kontakt zum Kind hat – d.h. verzichtbar wäre auf eine erweiterte Bundeszentralregisterauskunft nur dann, wenn der Pfleger sich lediglich um die Anlage von Vermögen ohne Rücksprache mit dem Kind oder Jugendlichen zu kümmern hat. Insofern würden wir eine Ergänzung in § 168 begrüßen, da die Funktion des Pflegers explizit im neuen Vormundschaftsrecht für viele Bereiche denkbar ist, z.B. bei in Pflegefamilien lebenden oder in Einrichtungen betreuten Kindern. Gelegentlich entstehen Familienpflegeverhältnisse ohne Vermittlung des Jugendamtes und ohne diesbezügliche Vergütung, so dass hier das staatliche Wächteramt seitens des Familiengerichts ausgeübt werden müsste.
Zunächst als positiv bewerten wir, dass bei der Auswahl eines Vormunds (§ 1778) auch das religiöse Bekenntnis eines Kindes und der kulturelle Hintergrund und die Lebensumstände berücksichtigt werden sollen. Die Formulierung in der Begründung: „Bei Mündeln mit Migrationshintergrund soll bei der Auswahl des Vormunds nach Möglichkeit auch auf die im Zusammenhang mit dem kulturellen Hintergrund bestehenden Besonderheiten Rücksicht genommen werden“ (S. 237) erscheint jedoch aus unserer Sicht missverständlich. Zu den Qualitätsanforderungen für künftige Vormünder sollte nicht zählen, dass ein Vormund der identischen Religionszugehörigkeit oder des identischen kulturellen Hintergrundes bestimmt wird, sondern vielmehr eine Persönlichkeit, die bereit und in der Lage ist, sich mit Anforderungen von Interreligiosität oder Interkulturalität auseinanderzusetzen, d.h. sich auch bestmöglich für die Integration des betroffenen Kindes oder Jugendlichen unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes einsetzen kann. Hier wäre eine Abänderung des Begründungstextes wünschenswert.

Weiterhin halten wir den § 1779, der die Eignung des Vormunds beschreibt, für zu wenig konkret auf die individuellen Problemlagen hin gefasst. Das betrifft auch den Begründungstext. Beispielsweise wäre bei sehr jungen Kindern die Möglichkeit der persönlichen Kontinuität der Vormundschaft zu berücksichtigen, je nach psychischer Verfasstheit des [Mündels] auch die psychische Belastbarkeit des Vormunds. Bei behinderten Kindern wären Basiskenntnisse hinsichtlich Versorgung und Förderung zu fordern. Eine fachliche Nähe zu anderen das [Mündel] betreuenden Fachkräften und die Fähigkeit mit diesen auf Augenhöhe zu kommunizieren wäre wünschenswert. Ohne eine Konkretisierung dieser stark variierenden Qualifikationsanforderungen könnte es schwierig werden, genügend geeignete Vormünder zu gewinnen.
Vorschlag: im Gesetzestext, hilfsweise in der Begründung könnte ergänzt werden: „Kenntnisse und Erfahrungen je nach den individuellen Bedürfnissen und Problemlagen des [Mündels] wie Alter und biographischen Erfahrungen. Behinderung u.a.m.

2. Alter des (ungeborenen) [Mündels]
Selbstverständlich sind im Einzelfall die Rechte ungeborener Kinder zu berücksichtigen. Eine Veränderung der Definition in z.B. § 1810 als „bereits gezeugtes Kind“ halten wir zwar gegenüber „Leibesfrucht“ für sinnvoll. Es wäre aber aus unserer Sicht besser, eine zeitliche Begrenzung einzuführen, da bereits ein Embryo nach in-vitro-Fertilisation als „bereits gezeugtes Kind“ gelten kann, oder ein Fötus, bei dem ein Schwangerschaftsabbruch noch möglich wäre. Nicht auszudenken wären etwa Auseinandersetzungen zweier Vormünder (etwa des Vormundes einer minderjährigen schwangeren Mutter mit dem Vormund des ungeborenen Kindes) dahingehend, ob das Ungeborene nun einem Schwangerschaftsabbruch zugeführt werden darf oder nicht, oder ob die Gesundheit der Mutter oder die des Ungeborenen Vorrang haben. Medizinisch ist darauf hinzuweisen, dass sich die Überlebensfähigkeit von Frühgeborenen in den letzten Jahren stark zu einem jüngeren Gestationsalter hinbewegt hat.
Vorschlag: Der Begriff „Fötus jenseits der 12. Schwangerschaftswoche“ würde den Begriff „bereits gezeugtes Kind“ besser beschreiben.

3. Fallbelastung der Vormünder
Nichts ausgesagt wird im Gesetz zur Fallbelastung, die ein Vormund noch schultern können soll. Wir halten eine gesetzliche Begrenzung der Belastung aus den im Eingangstext genannten Gründen für erforderlich. Ursprünglich sollte im SGB VIII eine Begrenzung auf 50 Fälle pro Vormund eingeführt werden. Wir halten bei den nunmehr gesteigerten Anforderungen an (Berufs- oder Vereins-) Vormünder eine Fallbelastung von 50 [Mündeln] für das maximal mögliche, besser wären nur 30 Fälle pro Vormund. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass nach gültiger Rechtsauffassung (Gutachten des DiJuF zu ärztlichen Aufklärungspflichten gegenüber gesetzlichen Betreuern und Erziehern, JAmt 2017, 542-545) psychiatrische Behandlungen nicht in den Bereich der „Angelegenheiten des täglichen Lebens“ oder der „ärztlichen Behandlung leichterer Erkrankungen und Verletzungen“ fallen, sondern sie stellen eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung dar, die zwingend den Einsatz des Vormunds erfordern. Aufklärungen v.a. zu Off-label-Behandlungen, die in unserem Fachgebiet häufig vorkommen, erfordern erhebliche Zeitressourcen seitens der Vormünder. Kinder unter Vormundschaft wiederum weisen erhebliche Risiken für einen psychiatrischen Behandlungsbedarf auf.

Zusätzlich seien uns zwei eher redaktionelle Hinweise gestattet:

a) Zu § 1795: Das Familiengericht muss nicht über einen Ausbildungsvertrag entscheiden der „für länger als ein Jahr geschlossen“ wird (die meisten Ausbildungen dauern 2 oder 3 Jahre) – sondern nach der Begründung ist gemeint: eine Ausbildung, die „länger als ein Jahr nach der Volljährigkeit andauert“, gleiches gilt für Dienstleistungen oder Mietverträge. Das kann unproblematisch nachgebessert werden, etwa analog zu § 1799 (2) „wenn das Vertragsverhältnis länger als ein Jahr nach dem Eintritt seiner Volljährigkeit fortdauern soll“

b) Die rechtlichen Verweise bei Entscheidungen hinsichtlich des Vermögens (§ 1798 (2)) landen alle bei Paragraphen, die das Betreuungsgericht betreffen. Das ist dahingehend missverständlich, als ob in den Fällen, wenn es um Vermögen ginge nicht mehr das Familiengericht zuständig wäre. Besser wäre es, hier zu ergänzen „gelten im Übrigen ……entsprechend gegenüber dem Familiengericht.
Abschließend danken wir Ihnen für diese Reforminitiative und stehen Ihnen jederzeit für Rückfragen zur Verfügung.

Für den Vorstand, mit freundlichen Grüßen

Prof. M. Kölch, Präsident Prof. R. Schepker, Beisitzerin

(Stationäre) kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Zeiten der COVID-19 Pandemie in Deutschland

 

Die COVID-19 Pandemie und die daraus folgenden Maßnahmen, auch im öffentlichen Leben und im Gesundheitswesen, betreffen die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung in Deutschland. Inzwischen ist eine sehr breite, zum Teil auch sehr öffentlichkeitswirksam geführte Diskussion über die Sinnhaftigkeit der „Lock-Down“-Maßnahmen entstanden. Die Vorstände von DGKJP, BAG KJPP und BKJPP haben sich gegenüber diesen Diskussionen sehr bewusst zurückhaltend verhalten. Wir haben jedoch schon früh darauf hingewiesen, dass psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche weiterhin der kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Versorgung bedürfen, dass die Notfallbehandlung jederzeit gesichert sein muss und unsere Patient*innen generell der Versorgung bedürfen.

Inzwischen finden in Deutschland Maßnahmen der Lockerung der strengen Vorschriften im öffentlichen Leben statt. Gleichzeitig ist absehbar, dass das infektiologische Geschehen sich weiter fortsetzen wird und bis zur Verfügbarkeit einer entsprechenden Impfung oder anderer Maßnahmen, Vorsichtsmaßnahmen weiterhin notwendig sein werden. Gerade für den Bereich des Gesundheitssektors werden auf absehbare Zeit besondere Vorschriften hinsichtlich Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen bestehen. Insbesondere Krankenhäuser werden weiterhin von besonderen Schutzmaßnahmen betroffen sein, die zum Beispiel auch Besuchsverbote bzw. Begrenzung von Besuchen etc. inkludieren. Die Vorstände der DGKJP, BAG KJPP und des BKJPP möchten deswegen Stellung nehmen zu allgemeinen Therapieprinzipien im Rahmen der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung, insbesondere im stationären und teilstationären Setting, die auch in Zeiten der Pandemie notwendig sind. Dies soll dazu dienen, dass sich auf lokaler Ebene Klinikleitungen gegebenenfalls mit betreffenden Stellen austauschen können, um zu prüfen, inwieweit besondere Regelungen für die Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Rahmen des Infektionsschutzes und der Hygienemaßnahmen möglich oder notwendig sind, die dennoch eine angemessene Behandlung ermöglichen. Da generell nach der föderalen Logik Länderregelungen entscheidend sind, ist auch festzustellen, dass z. B. seitens der Gesundheitsministerien der Länder sehr unterschiedliche Regelungen für psychiatrische Krankenhäuser gelten und diese vornehmlich auch bezogen sind auf den unmittelbaren Sicherstellungsauftrag der Psychiatrie, nämlich die Behandlung gerichtlich untergebrachter Patient*innen. Entsprechende Regelungen, die rein auf eine Akutbehandlung von Patient*innen mit schwerster Eigen- oder Fremdgefährdung abzielen, auf die kinder- und jugendpsychiatrische Regelbehandlung zu übertragen, halten wir für problematisch.

Generelle Prinzipien kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung – auch im stationären Setting
Generell zeichnet sich die kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Behandlung durch sowohl den multimodalen Ansatz, als auch den Einbezug von Bezugspersonen in die Behandlung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen aus. So wie in vielen Leitlinien Eltern- bzw. Bezugspersonen-zentrierte Maßnahmen zum Teil sogar als Mittel der ersten Wahl benannt werden, so bedarf es auch im Rahmen der stationären und teilstationären kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung des engen Einbezugs von Eltern und Bezugspersonen. Eine reine Behandlung des Kindes oder Jugendlichen allein ist in den wenigsten Fällen zielführend und wird wenig Aussicht auf Erfolg haben, insbesondere bei der Transmission in die Lebensumwelt des Kindes/ Jugendlichen. So ist regelhaft auch der Einbezug der Schule im Rahmen der Behandlung notwendig, wie auch Elterngespräche, Eltern-Kind-Interaktionsbehandlungen etc. Neben dem reinen Behandlungsziel ist es auch ein ethisches Prinzip, Kinder nicht dauerhaft von ihren Bezugspersonen zu trennen, ja es ist ein Kinderrecht, Kontakt zu den Bezugspersonen zu haben. Beispielsweise wurde das Wahrnehmen des Umgangsrechts zu getrenntlebenden Elternteilen auch durch Reiseverbote der Bundesländer nicht ausgehebelt – akut infektbedingte Kontaktverbote ausgenommen. Einschränkungen des Rechts auf Kontakt zu Eltern bzw. Sorgeberechtigten, aber auch wichtigen Bezugspersonen wie Geschwistern, müssen im eigentlichen mit dem Kindeswohl begründet werden.

Folgen für die Behandlung bei Fortbestehen der COVID-19 Pandemielage 
Aus dem oben ausgeführten zeigt sich, dass schlechterdings Kontaktbeschränkungen zu Eltern im Rahmen eines mehrwöchigen Diagnostik- und Behandlungsaufenthaltes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie kaum möglich und auch nicht vertretbar sind. Zu Beginn der Lock-Down-Maßnahmen wurde in den kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken versucht, nur die notwendigsten Behandlungen stationär durchzuführen und dennoch die vorzeitig entlassfähigen oder noch wartefähigen Patient*innen mittels alternativer Methoden ambulant bzw. per Telefon oder Videosprechstunde zu behandeln. Dies kann eine kurze Zeit lang gelingen und gelingt überwiegend auch bei bereits mit ihren Therapeut*innen bekannten Kindern und Jugendlichen gut, eine Dauerlösung für die Behandlung von Patient*innen ist es nicht. Vor allem Kinder benötigen das Tun – eine Handlungsebene mit Fachtherapeut*innen und Therapeut*innen. Bereits vor der COVID-19 Pandemie wurden in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken ohnehin nur die schwersten Fälle stationär oder teilstationär behandelt, die Verweildauer hatte sich schon in den letzten Jahrzehnten extrem verkürzt und der Anteil von Krisenbehandlungen hat kontinuierlich zugenommen. Es ist mitnichten so, dass aktuell keine Suizidversuche oder keine psychotischen Dekompensationen mehr stattfinden würden. Die Pflichtversorgung ist auf jeden Fall aufrecht zu erhalten. Bei der in Kliniken behandelten Patient*innenklientel handelt es sich also nicht um Patient*innen, die ohne weiteres in das ambulante Setting zur Behandlung transferiert werden können. Oft spielen dabei auch Umfeldfaktoren, wie die familiäre oder die schulische Situation eine entscheidende Rolle, die die Behandlungsnotwendigkeit mit den Mitteln des Krankenhauses bedingen.

Ein weiterer wichtiger Faktor in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ist, dass der Gruppeneffekt genutzt wird. Ein überwiegender Anteil der Patient*innen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat deutliche Defizite in den sozialen Kompetenzen. Die Therapie beinhaltet also auch eine Steigerung der sozialen Kompetenzen, was regelhaft in der millieutherapeutischen Arbeit innerhalb der Stationen und Patient*innengruppen stattfindet. Aus diesem Grunde heraus ist es kaum vorstellbar, dass Kinder und Jugendliche in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie etwa die meiste Zeit in Einzelzimmern verbringen und die Essenssituationen im Einzelzimmer stattfinden sollen etc. Unter solchen Aspekten würde eine solche Therapie zur geradezu monströsen Isolierung von Kindern und Jugendlichen führen. Eine solche käme quasi einer Deprivation gleich und ist nur bei sehr begrenzten schwersten akuten Erkrankungszustände zu rechtfertigen.

Regionale Besonderheiten von Kliniken
Kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungseinheiten finden sich in unterschiedlichen Konstellationen, von Abteilungen am Allgemein- und Maximalkrankenhaus oder an Kinderkliniken bis hin zu Abteilungen an rein psychiatrischen Krankenhäusern oder als eigenständige Tageskliniken oder kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken. Aus diesem Umstand ergibt sich, dass aufgrund von Besuchskontakten durch Eltern oder Angehörige andere, somatisch erkrankte Patient*innen und Risikogruppen sehr unterschiedlich, je nach Einrichtung, baulichen Gegebenheiten und Wegeleitung, gefährdet werden können. Es bedarf also lokaler Konzepte, je nach Lage und Art des einzelnen Krankenhauses, und dementsprechend auch unterschiedlich strenge und strikte Besuchsregelungen. Dies erscheint nach den bisherigen Länderregelungen unzureichend in Hinblick auf die Bedürfnisse von kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung ausgestaltet zu sein. Einige Bundesländer haben die Ausgestaltung hinsichtlich psychiatrischer Patient*innen ganz den Krankenhausträgern überlassen.

Güterabwägungen auf verschiedensten Ebenen notwendig
Die Vorstände der DGKJP, BAG KJPP und des BKJPP haben die ergriffenen Maßnahmen der Eindämmung der Pandemie zunächst als kurzfristige und kurzdauernde Maßnahmen gesehen und von daher die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche auch für überschaubar eingeschätzt, wenn diese wenige Wochen dauern. Unter dem Aspekt einer länger dauernden Konfrontation mit der Pandemielage muss bezüglich der Behandlung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher aber eine Güterabwägung zwischen Infektionsschutz einerseits und den Behandlungsnotwendigkeit psychisch kranker Kinder und Jugendlicher andererseits getroffen werden. Ein längerfristiges Aussetzen und starkes Reduzieren der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungskapazitäten gerade im teil- und vollstationären Bereich wird zu deutlichen Problemen führen. Unter dem Primat, dass es sich bei Kindern und Jugendlichen um sich entwickelnde Wesen handelt, kann es zu großen Problemen hinsichtlich der Absolvierung von Entwicklungsschritten, der sozialen Integration etc. kommen, wenn psychische Störungen nicht behandelt werden. Störungen können schnell chronifizieren. Deshalb müssen lokale und regionale Konzepte erarbeitet werden, um die Behandlung der schwersterkrankten Kinder und Jugendlichen, die der stationären und teilstationären kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung bedürfen (und nur diese waren auch bisher in selbiger) zu sichern. Dazu müssen die entsprechenden Fachleute für Hygiene- und Infektionsschutz kontaktiert werden und diesen auch notwendige Bestandteile kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung (Interaktionen, Besuche, Gruppentherapien, direkte Beobachtung von Mimik etc.) verdeutlicht werden, um unter diesem Aspekt nach Lösungen für eine vertretbare – unter Infektionsgesichtspunkten – Behandlung zu suchen.

Nicht vertretbar sind aus Sicht der Fachgesellschaft und der Fachverbände Regelungen, alle Patient*innen nach Aufnahme erst einmal zu quarantänisieren – d. h. faktisch zu isolieren, bevor sie in die Patient*innengruppe aufgenommen werden können.
Ebenso wenig vertretbar ist die Zweckentfremdung psychiatrischer Abteilungen zur Unterbringung von Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht an Quarantäneauflagen halten. Liegt eine psychiatrische Störung vor, sind solche Patient*innen genau so zu behandeln wie reguläre familiengerichtliche oder öffentlich-rechtlich Untergebrachte, d. h. es braucht eine Indikation und einen Gerichtsbeschluss für die vorgenommene Freiheitsentziehung.
Ebenfalls nur schwer vertretbar ist eine Maskenpflicht für alle im Stationsalltag – hier sollten Stationsgruppen als „häusliche Gemeinschaft“, ebenso wie Wohngruppen in der Jugendhilfe oder eben Großfamilien betrachtet werden. Zumindest in psychotherapeutischen Sitzungen könnte gelten, dass in gut gelüfteten Räumen mit Einhaltemöglichkeit von Abstand die Masken abgenommen werden können.

Kinder- und jugendpsychiatrische Abteilungen sollten andererseits als eine der ersten berücksichtigt werden, wenn es um die Einführung flächendeckender und regelmäßiger PCR- oder Antikörperbestimmungen geht. Denn unsere Patient*innen haben verglichen mit somatischen Patient*innen sehr lange Verweildauern.

Kinder- und jugendpsychiatrische Abteilungen sollten ebenfalls berücksichtigt werden, wenn es um die Wiedereröffnung der Schulen geht. Schulen für Kranke sind ein essentieller Baustein einer ganzheitlichen Herangehensweise an gestörte Kinder und Jugendliche und für diese ein unverzichtbarer Realitätsraum, wie oben ausgeführt.

Berlin/ Schleswig/ Mainz, 30.06.2020

Stellungnahme zum BVerfGUrteil zu §217 StGB (Urteil des 2. Senats vom 26.2.2020, 2 BvR 2347/15)

 

Sehr geehrter Herr Minister Spahn,

wir bedanken uns für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem komplexen, viel diskutierten Thema vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils.

Hierbei beziehen wir uns vor allem auf den 4. Leitsatz: „Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.“

Sie zitieren das Bundesverfassungsgericht im Anschreiben dahingehend, dass das „umfassende Recht auf selbstbestimmtes Sterben [……] in jeder Phase der menschlichen Existenz“ gegeben sein solle. Wir stellen fest, dass im Urteil des BVerfG an keinem Punkt zur Situation von Kindern und Jugendlichen Stellung genommen wird. Auch war keiner der geladenen Experten Arzt für Kinder- und Jugendmedizin oder Arzt oder Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie.

Daher möchten wir uns als Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie zur Problematik von Suizidbeihilfe bei Minderjährigen äußern.

Zu den Besonderheiten suizidalen Verhaltens im Jugendalter
Auch wenn die absoluten Suizidzahlen in der Altersgruppe der unter 18jährigen in Deutschland im Vergleich zu Erwachsenen mit etwa 220 Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden im Jahr eine vergleichsweise geringe Anzahl ausmacht, so ist dennoch Suizid die zweithäufigste Todesart im Jugendalter! Zudem finden sich in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen besonders häufig Suizidgedanken und Suizidversuche. Große epidemiologische Studien sprechen von einer Lebenszeitprävalenz von 37 % der Jugendlichen in Deutschland, die zumindest einmal über Suizid nachgedacht haben, sowie Suizidversuche bei etwa 8 % (Donath et al. 2019). Gerade im Jugendalter findet sich daher eine Häufung von Suizidgedanken und Suizidversuchen, was auch als entwicklungstypisches Phänomen zu verstehen ist.

Dabei zeichnen sich Suizide und Suizidversuche im Jugendalter im Vergleich zum Erwachsenenalter durch eine deutlich höhere Impulsivität aus. Dies ist auch durch neurobiologische Reifungsprozesse bedingt. Die Hirnreifung befindet sich im Jugendalter noch in der Entwicklung und kann erst etwa um das 25. Lebensjahr als abgeschlossen gesehen werden. Gerade die frontalen und präfrontalen Areale, die eine suffiziente Impulskontrollsteuerung ermöglich, sind bei Jugendlichen entwicklungsbedingt noch nicht vollständig ausgereift (Gerber et al. 2009).

Vor diesem entwicklungs-neurobiologischen Hintergrund ist deswegen der selbstbestimmte Entschluss, eine weitreichende Entscheidung zu treffen, aufgrund der o. g. Entwicklungsprozesse und der erhöhten Impulshaftigkeit zu hinterfragen. Dieser Tatsache trägt man z. B. gesetzlich an anderer Stelle Rechnung, denn wenn Jugendliche Straftaten verüben, werden sie nach Jugendlichenstrafrecht bestraft.

Zu Todeswünschen Jugendlicher im Rahmen anderer psychischer Erkrankungen
Es ist festzustellen, dass 96 % der Jugendlichen, die durch Suizid verstarben, von einer psychiatrischen Krankheit betroffen waren (Nock et al. 2013). Wie körperliche Erkrankungen auch, sind psychische Erkrankungen behandelbar. Bei einer evidenzbasierten, fachgerechten Diagnostik und leitliniengerechter Behandlung einer psychiatrischen Erkrankung werden sekundär auch suizidale Absichten reduziert.

Die Phase, in der ein Jugendlicher Suizid als (besten) Ausweg aus seiner derzeit für ihn nicht aushaltbaren Situation sieht, ist vergleichsweise kurz. Stationäre Kriseninterventionen zur Behandlung akuter Suizidalität benötigen häufig nur wenige Tage, während die häufig zugrundeliegende psychische Störung noch längerer, meist ambulanter Therapie bedarf. Eine Langzeit Follow-up Studie konnte zeigen, dass 94 % derjenigen, die kurz vor einem Suizidversuch aufgehalten wurden, nach 26 Jahren noch lebten (Seiden, 1978). Betrachtet man aktuellen Modelle zur Suizidalität, wie die interpersonell psychologische Theorie nach Joiner (2005) oder das volitionale Modell nach O´Conner & Kirtley (2018), zeigt sich, dass zunächst ein längerfristiger Prozess der gedanklichen Beschäftigung über einen Suizid stattfindet, der durch diverse Risiko- als auch Resilienzfaktoren beeinflusst wird. Es wird dabei auch deutlich, dass statt einen Suizid geschehen zu lassen, verschiedenste wirkungsvolle Präventions-, Beratungs-, Unterstützungs- und Therapieangebote alternativ möglich sind, um dem jungen Menschen in emotionaler Not zu helfen.

Suffiziente Therapiemaßnahmen können sowohl das Suizidversuchsrisiko, wie auch die Wiederauftrittswahrscheinlichkeit von Suizidversuchen minimieren. Für das Kindes- und Jugendalter wird vor allem auf psychotherapeutische Methoden verwiesen (für einen aktuellen Überblick s.Iyengar 2018,), im Erwachsenenalter gibt es mittlerweile eine breitere Literatur zur Wirksamkeit auch von psychopharmakologischen Substanzen wie Ketamin, Lithium und Clozapin (De Berardis et al., 2018). Im Kindes- und Jugendalter gibt es in diesen Bereichen nur wenig Literatur, und es besteht ein deutliches Forschungsdesiderat im Bereich psychopharmakologischer Interventionen.

Zuletzt muss darauf hingewiesen werden, dass es möglich ist, Suizidgedanken und Suizidversuche durch präventive Maßnahmen zu beeinflussen. Auch unter Beteiligung einer deutschen Schulpopulation konnte in einer großen randomisierten, kontrollierten europaweiten Studie nachgewiesen werden, dass es möglich ist, mittels eines einfachen Schulprogrammes die Anzahl an Suizidgedanken, Suizidversuchen binnen eines Jahres auf die Hälfte zu reduzieren (SEYLE-Studie; Wassermann et al. 2015).

Im Falle zugrundeliegender psychischer Störungen, die mit einem Todeswunsch oder Suizidalität verbunden sind, ist generell festzuhalten, dass diese in den meisten Fällen gut zu behandeln sind und meist schon vor oder spätestens mit Remission der Grunderkrankung auch die Suizidalität in den Hintergrund tritt.

Zum Sonderfall von Todeswünschen bei Anorexia nervosa im Jugendalter
Die Anorexia nervosa und verwandte Essstörungen sind nach wie vor mit einer hohen Mortalität infolge diverser Komplikationen durch Unterernährung versehen. Diese Störungen bedürfen bisweilen in der Behandlung Zwangsmaßnahmen. Dies beruht darauf, dass eine Krankheitseinsicht störungsbedingt nicht gegeben ist und der Tod in Kauf genommen wird, was eine britische Arbeitsgruppe bereits vor fast 20 Jahren ausführlich untersucht hat (Tan et al. 2003 a, b). Insofern kann neben dem Altersaspekt auch nicht von einer „freien Willensentscheidung zum Sterben“ durch Hungern bei Patient*innen mit Anorexia nervosa ausgegangen werden, sondern es handelt sich um ein manifestes Krankheitssymptom. Wie problematisch in diesem Kontext von Kindern und Jugendlichen ohnehin Paradigmen wie freier Wille, informierte Zustimmung etc. sind, wurde ebenfalls mehrfach dargestellt (Tan & Fegert 2004, Tan & Koelch 2008, Kölch 2016). Auch wurde untersucht, dass z. B. Patient*innen mit Anorexia nervosa retrospektiv, obwohl sie ex ante einer Behandlung nicht zugestimmt hatten, Zwangsmaßnahmen in der Behandlung für angemessen hielten, wenn dies der Rettung ihres Lebens diente (Tan et al. 2010). Nach Hochrechnungen von Ward et al (2019) können unter Behandlung 75 % der Patienten von der Störung völlig genesen. Das schließt nicht aus, dass bei einer gegebenen Rückfallrate im Erwachsenenalter palliative Situationen eintreten können (Westermair et al 2020). Im Kindes- und Jugendalter lässt sich die Todesrate unter Behandlung nach der schwedischen Langzeitstudie von Dobrescu et al (2020) aber auch über 30 Jahre auf 0 % senken.

Zu Todeswünschen im Rahmen palliativer Situationen bei Kindern und Jugendlichen
Es sei zunächst auf Stellungnahmen der pädiatrischen Fachgesellschaften verwiesen. Aus Sicht unseres Fachgebietes wäre es aber essentiell, sollte der Gesetzgeber eine Freigabe für assistierten Suizid auch bei Minderjährigen erteilen, durch vorgeschaltete Gutachten eine behandelbare, komorbide psychiatrische Störung sicher auszuschließen. Ausdrücklich weisen wir darauf hin, dass die Prävalenz z. B. für Depressionen im Rahmen maligner Erkrankungen auch bei Kindern und Jugendlichen weltweit deutlich erhöht ist (Akimana et al. 2019), im Langzeitverlauf teilweise abhängig vom Erziehungsstil der Eltern (Ernst et al. 2020).

Zusammengefasst muss für das Kindes- und Jugendalter festgehalten werden:

Vor dem Hintergrund unserer Ausführungen sieht die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie die Population der unter 18jährigen auch aufgrund ihrer entwicklungsbiologischen Prädisposition zu impulshaften Handlungen mit einer guten Therapierbarkeit als besonders schützenswert vor einer Gesetzgebung zur Suizidbeihilfe an.

Wir empfehlen daher in einem Gesetzentwurf folgendes vorzusehen: 1. eine genaue Prüfung einer etwa eingeschränkten Selbstbestimmung, die Sicherstellung der Behandlung psychischer Störungen einschließlich einer Behandlung gegen den Willen gemäß Unterbringungsgesetzen der Länder bzw. gemäß § 1631b BGB. 2. Im Rahmen palliativer Situationen sollten behandelbare psychische Störungen durch eine kinder- und jugendpsychiatrische Begutachtung sicher ausgeschlossen bzw. im positiven Fall einer Behandlung zugeführt werden.

Autoren: Katja Becker, Michael Kölch, Paul Plener, Renate Schepker

Berlin, 29.05.2020

Stellungnahme zur Verordnung zur Neufassung der  Datentransparenzverordnung und zur Änderung der Datentransparenz-Gebührenverordnung

Die DGKJP bedankt sich für die Zusendung des Referentenentwurfes und begrüßt grundsätzlich die im Referentenentwurf vorgesehene institutionelle und inhaltliche Ausgestaltung von Vertrauensstelle und Forschungszentrum. Hinsichtlich des vorliegenden Referentenentwurfes wird im Folgenden notwendiger Änderungsbedarf aus unserer Sicht ausgeführt. Besonders hervorzuheben ist dabei die Problematik zur Identifizierung von einzelnen Personen.

§2 Abs. 3
Hier wird zwar eine strikte räumliche Trennung explizit benannt, die derzeitige Formulierung „Die personelle Eigenständigkeit wird sichergestellt, indem Beschäftigte nur für die Aufgabe der Vertrauensstelle und nicht zugleich für Aufgaben im Zusammenhang mit der Antragsstellung im Robert-Koch-Institut eingesetzt werden dürfen“ lässt jedoch Interpretationsspielraum für etwaige andere Personalunionen, z. B. in Leitungsaufgaben. Im Sinne einer Unabhängigkeit von Vertrauensstelle und Forschungszentrum, wie sie im Entwurf grundsätzlich auch festgelegt werden soll, ist eine strikte personelle Trennung klarer festzuhalten. Es wird empfohlen, ebenso wie bezüglich der räumlichen Trennung auch eine „strikte personelle Trennung“ festzulegen.

§3 Abs. 1
Die Übermittlung von Daten zum Wohnort kann wichtige Auswertungen hinsichtlich z. B. einer gemeindenahen Versorgung und Versorgungswege allgemein ermöglichen und ist für diese Fragestellungen ebenso wie für epidemiologische Untersuchungen wichtig. Nachdem der Datensatz einmal jährlich übermittelt wird, wird angeregt, etwaige Wohnortwechsel auch zeitlich mit abzubilden, um Aussagen zur Versorgungsrealität und Epidemiologie fundierter treffen zu können.

§3 Abs.3 ff
Es ist unklar, weshalb für welche Forschungsfragen zur Identifikation einzelner Behandler (Zahn-/ Arztnummern, Hebammen-Identifikationsnummer) erhoben werden sollen. Hier erscheint die Möglichkeit einer personenbezogenen Auswertung immanent, insbesondere, da in §11 Abs.1(3) explizit festgehalten ist, dass die Daten auch pseudonymisiert ausgewertet werden können. Die Möglichkeit der unmittelbaren Nachverfolgung von einzelnen Akteuren unter den Gesundheitsdienstleistern ist damit hoch wahrscheinlich. Diese etwaige persönliche Überwachung einzelner Gesundheitsdienstleister ist für die beabsichtigten Forschungsfragestellungen nicht zielführend. Zu dieser Problematik ist dringend Änderungsbedarf gegeben, wie zu §11 ausgeführt.

§9 Abs.3
Die Formulierung „Der Verwaltungsakt kann insbesondere mit der Auflage verbunden werden, die vorgesehene Zusammenführung der beantragten Daten mit externen Datensätzen zu unterlassen“ erscheint sehr unklar und ermöglicht sehr weiten Interpretationsspielraum. Die wichtige Frage der Grundlage einer solchen Auflage ist hier nicht gegeben und erweckt den Eindruck einer eher willkürlichen Entscheidungsfreiheit. Es wird vorgeschlagen, dass das Forschungsdatenzentrum zwingend
a) vor in Krafttreten der Verordnung einen tragfähigen Entscheidungsalgorithmus für diese Auflage ausarbeitet.
b) dieser Entscheidungsalgorithmus zumindest jährlich auf Änderungsbedarf überprüft wird und entsprechend im Bericht an das BMG dargelegt wird.
c) die Anwendung eines solchen Entscheidungsalgorithmus bei jeder Antragsprüfung des Antrags auf Daten zwingend erfolgen muss.

§11 Abs. 2
Die Formulierung „Hierzu legt das Forschungsdatenzentrum die erforderlichen spezifischen, technischen und organisatorischen Maßnahmen fest, um die Datenverarbeitung durch den Nutzungsberechtigten auf das erforderliche Maß zu beschränken und das Risiko einer Identifizierung einzelner Betroffener zu minimieren“ erscheint vor dem Hintergrund der erheblichen Bedeutung einer Identifizierung eher schwach. Für alle Menschen bedeutet eine individuelle Rückverfolgung ihrer gesundheitlichen Problemstellungen durch Dritte einen massiven Verlust von Persönlichkeitsrechten. Uns erscheint dies insbesondere für Kinder und Jugendliche in der Problematik noch weiter verschärft. In die gleiche Problematik ist hier, wie oben bereits adressiert, die Rückverfolgung von einzelnen Gesundheitsdienstleistern, einzuordnen.

Es ist daher zu fordern, dass auch hier konkrete Grundstandards hinsichtlich Gegenmaßnahmen zur Identifikation Einzelner verbindlich festgelegt werden, die Nutzer zwingend einhalten müssen, bevor die Herausgabe von Daten erfolgt. Diese Grundstandards sollten in Zusammenarbeit der Expertisen von BfArM als vorgesehenem Forschungszentrum und RKI als vorgesehener Vertrauensstelle ausgearbeitet werden und dann verbindlich gelten. Des Weiteren sollten diese Standards beständig auf die Überarbeitungsnotwendigkeit überprüft werden und im vorgesehenen Berichtswesen an das BMG explizit ausgewiesen werden.

§11 Abs. 4
Hier wird adressiert, dass die Einbeziehung von „Dritten“ genehmigt werden müsse. Aus unserer Sicht sind alle an der Auswertung von Daten Beteiligten notwendigerweise als „primäre“ Nutzer zu definieren. Daraus resultiert eine unmittelbare rechtliche Verpflichtung aller Beteiligten gegenüber den beauftragten staatlichen Institutionen. Aufgrund der hohen Sensibilität der Daten ist die Übertragung der Verantwortung für Fragen des Datenumganges durch „Dritte“ an einen externen Antragssteller alleine nicht ausreichend und muss durch die unmittelbare Verpflichtung aller an der Auswertung Beteiligten gestärkt werden. 

Des Weiteren wird im Falle einer Nichteinhaltung die Sanktionierung mit Ausschluss vom Nutzungsrecht „bis zu zwei Jahre“ formuliert. Auch dieses erscheint vor dem Hintergrund der Sensibilität der Daten nicht ausreichend. Es ist im Sinne einer Stärkung der Vorgaben zu fordern, dass die Möglichkeit zur Sanktionierung mit einem unbefristeten Ausschluss vom Nutzungsrecht festgehalten wird.

§14
Es ist sehr zu begrüßen, dass hier ein Berichtswesen festgeschrieben wird. Aufgrund der adressierten umfassenden und grundsätzlichen Neuerung wird dringend vorgeschlagen, in den ersten fünf Jahren einen jährlichen Bericht festzulegen. Des Weiteren ist es wichtig, dass parallel zum Forschungszentrum auch die Vertrauensstelle verbindlich berichtet, da auch dieses wesentlich in der Umsetzung des Vorhabens ist und auch hier voraussichtlich beständige Überprüfung auf Anpassungsnotwendigkeiten bestehen.

Wir sind der Überzeugung, dass die empfohlenen Änderungen wesentlich zu einer gelingenden Einführung und Umsetzung des Gesamtvorhabens beitragen und bitten um Berücksichtigung.

Berlin, 22.05.2020

Stellungnahme der Deutschen Liga für das Kind vom 20.4.2020  mitgezeichnet durch die DGKJP

Stellungnahme zum Zwischenbericht vom 02.03.2020 zur Entwicklung einer Patientenbefragung für das Qualitätssicherungsverfahren zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gesetzlich Krankenversicherter

 

erarbeitet durch die Gemeinsame Kommission Psychotherapie

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) im Mai 2018 mit der Entwicklung von Indikatoren und Instrumenten eines einrichtungsübergreifenden, sektorspezifischen Qualitätssicherungsverfahrens inklusive Patientenbefragung zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gesetzlich Krankenversicherter (abgekürzt mit „QS Verfahren Ambulante Psychotherapie“) beauftragt. Es soll ein entsprechendes QS Verfahren zur Messung und vergleichenden Darstellung der Prozess- und – soweit sachgerecht abbildbar – der Ergebnisqualität für die Qualitätsförderung entwickelt werden. Das QS-Verfahren soll unabhängig von der spezifischen Diagnose der Patientinnen und Patienten sowie unabhängig vom angewandten psychotherapeutischen Verfahren Erwachsene erfassen, die im Rahmen einer Richtlinienpsychotherapie von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Kurz- oder Langzeittherapie behandelt werden.

Gesetzliche Grundlage dazu sollen § 135a SGB V (Verpflichtung der Leistungserbringer zur Qualitätssicherung) und § 136 (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung) sein.

Zum Zeitpunkt der Beauftragung des G-BA 2018 wurde für ambulante Richtlinientherapien noch das Gutachterverfahren nach §92 SGBV als u.a. qualitätssichernde Maßnahme durchgeführt. Es bleibt offen, ob der vorliegende Forschungsauftrag zur Entwicklung einer Patientenbefragung noch in Ergänzung zum Gutachterverfahren vorgesehen war, oder schon auf die neuen gesetzlichen Regelungen im § 92 Abs. 6a Satz 6 des SGB V und des §136 (2a) hinzielte. Im vorliegenden Konzept haben diese gesetzlichen Änderungen jedenfalls noch keine Berücksichtigung gefunden.

Das wird auch daran deutlich, dass der vorliegende Entwurf nur für ambulante psychotherapeutische Leistungen und Richtlinientherapien laut Psychotherapie-Richtlinie mit Erwachsenen konzipiert ist und nur für Einzeltherapie. Gruppentherapien und Kombinationsbehandlungen finden keine Berücksichtigung, ebenso nicht das gerade neu in der Psychotherapie-Richtlinie aufgenommene Verfahren der Systemischen Therapie.

Zusätzlich wird noch eine weitere Einschränkung der Zielgruppe der erwachsenen Patienten vorgenommen, indem nur Erwachsene ab 18 Jahren, die von Psychotherapeuten mit Qualifikation für die Behandlung von Erwachsenen behandelt werden, berücksichtigt werden sollen.

In Punkt 1.2 des Dokuments wird dazu näher erläutert:
Als Zielgruppe des Verfahrens werden gesetzlich krankenversicherte Erwachsene (ab 18 Jahren) benannt. Gemäß § 1 Abs. 4 Psychotherapie-Richtlinie können Patientinnen und Patienten bis zu einem Alter von 21 Jahren von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten (KJP) weiter behandelt werden, wenn zuvor eine mit Mitteln der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie begonnene psychotherapeutische Behandlung erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen werden kann. Aufgrund der Besonderheiten dieser Konstellationen und vor dem Hintergrund der speziellen Ausrichtung der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie werden diese Fälle bei der Entwicklung des QS-Verfahrens und somit auch bei der Entwicklung der Patientenbefragung nicht berücksichtigt. Daher wurde bereits das Qualitätsmodell, das den Rahmen für die Entwicklung des QS-Verfahrens bildet, explizit für die Erwachsenentherapie abgeleitet. Der Fokus liegt folglich ausschließlich auf der Erwachsenentherapie.

Leider wird hier §1 Abs. 4 der Psychotherapie-Richtlinie falsch zitiert! Patienten und Patientinnen können nicht „bis zu einem Alter von 21 Jahren, wenn zuvor eine mit Mitteln der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie begonnene psychotherapeutische Behandlung erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen werden kann“ von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und therapeutinnen behandelt werden, sondern der §1 Abs. 4 der Psychotherapie-Richtlinie sagt in Satz 1 und 2:

§1(4) 1Im Sinne dieser Richtlinie sind Kinder Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind und Jugendliche Personen, die 14 Jahre, aber noch nicht 21 Jahre alt sind. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist ausnahmsweise auch dann zulässig, wenn zur Sicherung des Therapieerfolgs bei Jugendlichen eine vorher mit Mitteln der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie begonnene psychotherapeutische Behandlung erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen werden kann.

Damit ist in der Psychotherapie-Richtlinie der „Jugendliche“ bis zum Alter des vollendeten 21. Lebensjahres definiert, was bedeutet, dass diese Altersgruppe regelhaft und nicht nur in Ausnahmefällen von Kinder- und Jugend(lichen)psychotherapeuten behandelt wird und nur der Ausnahmefall über das 21. Lebensjahr hinaus zur Sicherung des zuvor eingetretenen Therapieerfolgs besonders begründet werden muss – z. B. im Gutachterverfahren.

Wenn also im vorliegenden Konzept Patienten und Patientinnen der Altersgruppe zwischen 18 und 21 Jahren nur von Erwachsenentherapeuten befragt werden sollen, wird diese Altersgruppe deutlich unterrepräsentiert sein und das Vorgehen entspräche nicht der ambulanten Versorgungsrealität. Eine ausschließliche Befragung der Erwachsenentherapeuten würde für die Altersgruppe der 18- bis 21-jährigen Patientinnen und Patienten ein nicht repräsentatives Bild ergeben. Es wäre konsequenter dann erst Patienten ab dem 21. Lebensjahr zu befragen, wenn die Beschränkung auf die Erwachsenentherapie beibehalten werden sollte.

Obwohl die von unserer Fachgruppe der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie behandelten Patientinnen und Patienten nach dem vorliegenden Entwurf nicht befragt werden sollen, möchten wir vor dem Hintergrund der geplanten qualitätssichernden Maßnahmen laut §92 und §136a SGB V nach 2022 einige inhaltliche Anmerkungen zum dargestellten Qualitätsmodell mit Qualitätsaspekten und Qualitätsmerkmalen für die Patientenbefragung machen. Diese werden als eine von drei Grundlagen der zu entwickelnden Qualitätsindikatoren dargestellt – neben den noch zu erfragenden Qualitätsindikatoren auf Basis einer Qualitäts-Dokumentation der Therapeuten und Sozialdaten von Krankenkassen.

Die entwickelten Qualitätsaspekte und -merkmale erscheinen aufgrund wissenschaftlicher Ergebnisse und der Expertise verschiedener Fokusgruppen und Experten differenziert erarbeitet und entsprechen weitgehend der täglichen Praxis der Arbeit der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit ihren Patientinnen und Patienten und wesentlichen Aspekten des Gutachterverfahrens. Allerdings ist zu befürchten, dass ein auf der Basis des vorgestellten Qualitätsmodells noch zu entwickelnder Fragebogen an Patienten und Patientinnen für die ambulante Praxis in der Versorgung viel zu umfangreich werden könnte. Es bleibt offen, welche Anzahl von Fragen oder Qualitätsindikatoren aufgrund der dargestellten Qualitätsmerkmale zu erwarten ist und wie praktikabel eine Umsetzbarkeit in der Praxis sein könnte. Auch wird nicht deutlich zu welchen Zeitpunkten der Therapie die Fragebögen mit Patienten und Patientinnen eingesetzt werden sollen, wobei der Zeitpunkt abhängig vom Therapieprozess und -fortschritt großen Einfluss auf die Ergebnisse haben kann, da das Erinnerungsvermögen der Patienten begrenzt ist.

Eine im vorliegenden Entwurf vorgesehene Nutzung der Aussagen von Patienten in der ambulanten Versorgung zur Beurteilung der Arbeit einzelner Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen und zum Vergleich dieser untereinander lehnen wir aus methodischen Gründen strikt ab. Das könnte dazu führen, dass schwer kranke Patientinnen und Patienten mit komplexen Störungen, welche nur langsame Therapiefortschritte machen und entsprechend weniger Erfolg beim Therapeuten sehen, weniger Chancen auf Therapieplätze hätten als gesündere Patienten mit guter Beziehungsfähigkeit, Compliance und schnelleren Erfolgen in Therapien, da Therapeuten sonst negative Bewertungen oder sogar Sanktionen befürchten müssten.

Um den aktuellen Gesetzesvorgaben des SGB V mit dem Ersatz des Gutachterverfahrens durch qualitätssichernde Maßnahmen nach 2022 Genüge zu tun, müssten zusätzlich zu dem hier vorgelegten Instrument außerdem Qualitätsindikatoren für Gruppen- und Kombinationstherapien mit Erwachsenen, für Systemische Therapie mit Erwachsenen (auch im Mehrpersonensetting) und für Kinder mit ihren Bezugspersonen und für Jugendliche mit Bezugspersonen in allen Settings und Verfahren entwickelt werden und mit entsprechenden Fragebogen evaluiert werden. Dabei weisen wir vor allem darauf hin, dass die Entwicklung der Qualitätsindikatoren für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen und ihre Bezugspersonen nicht einfach übertragen, sondern mit ebensolcher Sorgfalt und Expertise der Patienten- und Expertengruppen durchgeführt werden muss wie bei Erwachsenen.

14. April 2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Vorstand und ich als Präsident der DGKJP wenden sich heute an Sie: wir sind alle mit einer besonderen Situation konfrontiert aufgrund der Pandemie mit dem Corona Virus. Der Vorstand der DGKJP bemerkt auch eine Verunsicherung bei den Kolleginnen und Kollegen. Deswegen haben wir uns entschlossen, Sie in dieser Situation anzusprechen:

Derzeit steht im Vordergrund, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Wie und mit welchen Maßnahmen dies geschieht, müssen die lokalen Institutionen und Behörden entscheiden. Es kann deshalb keine Richtlinie der DGKJP oder anderer kinder- und jugendpsychiatrischer Verbände für ein Vorgehen im kinder- und jugendpsychiatrischen Kontext geben. Gleichwohl, die Versorgungsaufträge gelten! D. h. die Pflichtversorgung und auch die ambulante Versorgung ist durch unsere Kliniken sicherzustellen. Psychische Störungen sind Erkrankungen und keine Befindlichkeitsstörungen. Es bleibt unsere Aufgabe, gerade in Krisenzeiten, psychisch kranke Kinder zu versorgen und diese bedürfen auch jetzt unserer besonderen Aufmerksamkeit! Wie dies mit Augenmaß und unter dem Aspekt der Hygiene und der Eindämmung des Corona Virus geschehen kann, muss lokal entschieden werden. Hier bauen wir auf Ihre Erfahrung und Expertise. In dieser Situation müssen kreative, aber sichere Wege in der Versorgung gegangen werden, dies betrifft z. B. auch die Behandlung von Patienten mittels telefonischer Beratung oder videobasierte Therapien.

Es gibt örtlich unterschiedliche Vorgehensweisen. Selbstverständlich steht im Vordergrund, die Intensivkapazitäten der somatischen Versorgung zu sichern. Wie damit umgegangen wird, müssen die Leiter*innen der Kliniken entscheiden in Absprache mit Behörden, den Verwaltungen etc. Dies kann bedeuten, dass auch Kapazitäten der KJPP für die Betreuung von Kindern nicht abkömmlicher Mitarbeiter*innen genutzt werden müssen, telefonische Sprechstunden für Patient*innen eingerichtet werden etc. Meine persönliche und die Bitte des Vorstands ist: bitte besinnen Sie sich auf Ihre Kompetenzen als Ärzt*innen und bringen Sie Ihre Expertise ein. Versorgen Sie Ihre Patient*innen, schaffen Sie aber auch notwendige Ressourcen für die Notfallversorgung von somatisch kranken Patient*innen.

Bitte bedenken Sie auch in der Wirkung für die Öffentlichkeit, mit Bedacht zu handeln, und unbegründeten Ängsten entgegenzuwirken. Der umsichtige Umgang mit krisenhaften Situationen ist eine Aufgabe für unser Fachgebiet und trägt zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung bei. Insofern bitte ich Sie, mit Augenmaß und Ihrer fachlichen Expertise, aber auch mit Mut an die anstehenden Aufgaben zu gehen, und vor Ort sinnvolle Lösungen für Fragestellungen zu erarbeiten. Es sei erlaubt anzufügen, dass juristische oder betriebswirtschaftliche Fragen, die bisweilen an uns als Vorstand in dieser Situation auch herangetragen werden, unserer Meinung nach derzeit sekundär sind. Es kommt darauf an, dass wir aktuell das Richtige tun, und das ist in unserem Fachgebiet die Patient*innen − auch unkonventionell − so zu versorgen, dass sie gesichert sind und andererseits die Kolleg*innen in den infektiologischen/intensivmedizinischen Bereichen so zu unterstützen, dass sie eine bestmögliche Arbeit leisten können.

Mit den besten Grüßen und Wünschen

Für den gesamten Vorstand der DGKJP:

Prof. Dr. M. Kölch
Präsident

Berlin, 19.03.2020

Appell für die geflüchteten Kinder auf Lesbos

Die unterzeichnenden Verbände (DGKJP, BAG KJPP und BKJPP) setzen sich als wissenschaftliche oder Versorgungs-Verbände für Patient*innen mit unterschiedlichen pädiatrischen und (kinder-)psychiatrischen Störungsbildern ein. Über die grundsätzliche Schutzwürdigkeit von Kindern und Jugendlichen hinaus bedürfen gerade junge Patient*innen mit psychischen Störungen und ihre Familien besonders fachkompetente Diagnostik und Behandlung, die auch wesentliche Aspekte des Kinderschutzes umfasst und die das Genfer Gelöbnis 2017, das besonders auf den Respekt der Autonomie und Würde der Patient*innen hinweist, respektiert.

Im Juni 2019 wurde seitens der griechischen Regierung Asylsuchenden sowie Personen ohne Papiere, die in Griechenland ankommen, der Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung entzogen. Heute betrifft dies mehr als 55.000 Menschen (vgl. Pressemitteilung MSF 23.01.2020). Im September 2019 befanden sich in den auf 6.300 Personen ausgelegten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos und Chios ca. 24.000 Menschen. Im Lager Moria auf Lesbos ist nahezu die Hälfte der Geflüchteten minderjährig. Seit mehr als drei Jahren werden Geflüchtete dort unter unmenschlichen Bedingungen auf den griechischen Inseln festgehalten. Das psychologische Team von „Ärzte ohne Grenzen“, welches im Lager Moria tätig ist, wies wiederholt auf massive emotionale Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei den ihnen vorgestellten Kindern und Jugendliche hin (vgl. Pressemitteilung 06.09.2019 MSF). Zusätzlich zu den traumatisierenden Erlebnissen in den Herkunftsländern erfahren die Kinder und Jugendlichen in diesen Lagern keine Sicherheit und keinen Schutz, sondern sind erneut traumatisierenden Erlebnissen ausgesetzt. Die beschriebenen Folgen sind unter anderem depressiver Rückzug, Suizidversuche und selbstverletzendes Verhalten − bereits bei unter 6-jährigen. Auch Mutismus und komplette Apathie werden beschrieben und können als Endzustände von extremer emotionaler Vernachlässigung und Hilflosigkeit gewertet werden.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor solchen Lebensbedingungen im europäischen Kontext muss − auch da von Deutschland als Rahmenbedingung mit verhandelt − sichergestellt werden. Diese seit Jahren bekannte und mitgetragene Situation erfüllt die Bundesverbände der Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie mit großer Sorge. In Anbetracht der zu erwartenden Ausmaße der Traumatisierungen und im Wissen um eine Reduktion der damit einhergehenden Entwicklungsmöglichkeiten sind insbesondere die Minderjährigen sofort in sicheren und angemessenen Unterkünften unterzubringen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, alles Erdenkliche zu unternehmen, um vor allem die verwaisten und unbegleiteten Kinder jenseits bürokratischer Hemmnisse einer menschenwürdigen Unterbringung zuzuführen. Gerade die Gruppe der Jüngsten ist besonders vulnerabel und braucht besonderen Schutz und Lebensbedingungen, die eine gesunde Entwicklung zulassen. Sie braucht darüber hinaus geeignete Diagnostik- und Behandlungsangebote sowohl für somatische als auch für psychische Erkrankungen.

Wir begrüßen sehr die am 09.03.2020 bekannt gegebene Bereitschaft der Bundesregierung, einen Teil der unbegleiteten und damit besonders gefährdeten Kinder in Deutschland aufzunehmen, fordern jedoch, dass dies auch unabhängig von aufnahmebereiten Mitstreitern in der EU geschieht. Darüber hinaus fordern wir auf nationaler wie auf europäischer Ebene alle Beteiligten auf, sich insbesondere für die Belange der Kinder und Jugendlichen in Flüchtlingssituationen einzusetzen und allen betroffenen Kindern die für sie erforderlichen Hilfen und Behandlungsangebote zukommen zu lassen.

10.03.2020

Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMG eines „Gesetzes zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur“ – Patientendaten-Schutzgesetz PDSG

 

Der Regelungsentwurf berührt die dringende Notwendigkeit, die Einflussnahme von Patientinnen und Patienten auf Art und Inhalte der Speicherung ihrer persönlichen Gesundheitsdaten sicherzustellen (Patientensouveränität) und die Weiterentwicklung einer elektronischen Patientenakte zur Verbesserung der Kommunikation aller Akteure im Gesundheitswesen. Insofern begrüßt die DGKJP das Gesetzesvorhaben ausdrücklich.

Wir bemängeln jedoch ausdrücklich, dass Regelungen für den Schutz der Patientensouveränität von Jugendlichen fehlen.

An etlichen Stellen des Referentenentwurfs ergeben sich für uns diesbezüglich ungeklärte Fragen bzw. ein Nachbesserungsbedarf.

1. Als Inhalt der elektronischen Versichertenkarte gilt auch der Medikationsplan. Die elektronische Form erfordert u.E. eine gesonderte Aufklärung hinsichtlich der Veröffentlichungen nicht nur, wie in § 31a (2) SGB V niedergelegt, für Blinde, sondern auch für Jugendliche und für Patienten mit weiteren Behinderungen (Hörgeschädigte, intelligenzgeminderte). Eine Ergänzung des § 31a (2) SGBV dahingehend sollte erwogen werden.

2. Laut § 336 (1) ist jeder Versicherte, d. h. auch mitversicherte Kinder, berechtigt, Daten in einer Anwendung nach § 334 Absatz 1 Nummer 1 zu speichern und Daten in einer Anwendung nach § 334 Absatz 1 Nummer 2 und 3 zu verarbeiten, nach (2) ist er berechtigt, Daten in einer Anwendung nach § 334 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 und 6 eigenständig zu löschen.

Es fehlt nach unserem Verständnis des Referentenentwurfs ein Konzept dazu

a) ab welchem Alter Minderjährige über ihre eigenen Daten verfügen, diese bearbeiten und löschen, d.h. sich nach § 336 (1) authentifizieren können und ob sie nach § 341 antragsberechtigt sind für die Nutzung der elektronischen Patientenakte (es wäre auch die Konstellation EPA-averser Sorgeberechtigter und EPA-affiner Jugendlicher denkbar, wenn nicht sogar wahrscheinlich).

b) worauf sich die Zugriffsrechte sorgeberechtigte Inhaber der Gesundheitsfürsorge für ihre Kinder erstrecken, d.h. inwieweit diese automatisch nach § 336 (1) authentifiziert sind.

c) inwiefern ggfs. – je nach b) – Bereiche gegenüber dem sorgeberechtigten Inhaber der Gesundheitsfürsorge durch den minderjährigen Versicherten unzugänglich gemacht werden können.

Zu a) zieht sich die Debatte um das Alter der Einwilligungsfähigkeit in medizinische Maßnahmen durch Literatur und Rechtsprechung ohne − unserem Wissen nach – bindendes Ergebnis. Eine Freigabe ab dem Alter von z. B. 14 Jahren birgt die Gefahr, dass unreflektierte Eingaben oder Löschungen erfolgen können, oder dass Jugendliche Zugang zu Daten erhalten die dem Kindeswohl abträglich sein könnten (siehe hierzu Ausführungen zu b) und c)).

Zu b) und c) kann es wichtig sein, vor allem psychiatrisch-psychotherapeutische Inhalte gegenüber Eltern zu schützen, etwa wenn Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten den Psychotherapieantrag an den Gutachter in die elektronische Akte befüllen, dieser aber zu Recht zur Information des Gutachters Angaben zu Erfahrungen oder Konflikten enthält, die den Eltern bisher nicht eröffnet wurden. Das gilt umgekehrt auch für Konflikte und Konstellationen, die für einen Psychotherapieantrag bedeutsam und wichtig sind aber Rechte der Eltern berühren und nur im Elterngespräch mit dem Psychotherapeuten erwähnt aber gegenüber dem Kind noch nicht eröffnet wurden (wie eine außereheliche Beziehung eines Elternteils, eine schwere Erkrankung, drohende Insolvenz eines Elternteils etc.). Ähnliche Problematiken haben sich bereits hinsichtlich der Akteneinsicht nach Patientenrechtegesetz für unser Fachgebiet ergeben und resultierten in der Empfehlung einer Freigabe von Dokumenten mit jeweiligen Filterungen und Schwärzungen. Diese Fragen stellen sich mit dem elektronischen Zugriff ohne Filter – so wie bisher vorgesehen − in verschärfter Weise.

Darüber hinaus sei erwähnt, dass es Jugendlichen frei steht, auch entgegen dem Willen der Eltern oder eines sorgeberechtigten Elternteils psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ferner ist bereits bisher 14jährigen der eigenständige Besuch eines/r Gynäkolog*in möglich. Die Verordnung von Antikonzeptiva sollte wegen der Interaktionshäufigkeit für Weiterbehandler ersichtlich, aber für Sorgeberechtigte im Einzelfall nicht erkennbar sein können.

3. Des Weiteren ist aus Sicht der DGKJP sicherzustellen, dass auch minderjährige oder behinderte Versicherte die Tragweite der Datenfreigabe im Einzelfall erfassen können. Hierfür fehlt uns die Möglichkeit einer qualifizierten Beratung oder Ombudsstelle, dieses sollte z. B. in § 338 und auch in § 342 spezifiziert werden.

Möglicherweise bietet es sich bis zur endgültigen juristischen Klärung der oben genannten Fragen an, die elektronische Patientenakte für Minderjährige auf § 341 (2) Nr. 1 c), Nr. 2 und 3 zu beschränken, d. h. auf die Dokumentation der Notfalldaten, der zahnärztlichen und der Kinder-Vorsorgeuntersuchungen, und Erweiterungen im Sinne des (2) Nr.1. a) an ein unabhängig erteiltes Einverständnis des versicherten Kindes (mit Altersangabe) und der Sorgeberechtigten zu knüpfen.

Abgesehen von dem benannten zusätzlichen Regelungsbedarf z. B. für jugendliche Versicherte ist generell anzumerken, dass die Möglichkeit einer selektiven Löschung von Daten durch den Versicherten dazu führt, dass ein Behandler nicht mit einer Vollständigkeit der Daten rechnen kann. Hier ist zu diskutieren, ob ein solcher teilweiser Datenbestand dazu führen kann, dass eine Behandlungsentscheidung, z. B. im Notfall, unvollständige und eventuell irreführende weil nicht mehr aktuelle Datensets einbezieht. Es erscheint fraglich, ob ein eventuell unvollständiger Datensatz eine tatsächliche Verbesserung der Versorgung der Versicherten herbeiführt.

4. § 313 Abs. 3: „Für jeden Nutzer kann im Verzeichnisdienst vermerkt werden, welche Anwendungen und Dienste adressiert werden können“.
Um dem Nutzen eines solchen Verzeichnisdienstes nachzukommen, ist ein solcher Vermerk standardmäßig erforderlich. Entsprechend wird folgende Formulierung vorgeschlagen: „Für jeden Nutzer wird im Verzeichnisdienst vermerkt, welche Anwendungen und Dienste adressiert werden können.“

5. § 356 Abs. 2: Der derzeit genutzte schriftliche Organspendeausweis stellt die aktive Entscheidung noch zu Lebzeiten des Versicherten dar und ist den Behandlern meist vor dem Eintritt des Todes bekannt. Dies kann zu einer Verbesserung der Vorbereitungsmöglichkeiten im Todesfall führen. Es wird daher angeregt, eine Möglichkeit vorzusehen, dass der Versicherte bereits vorsorglich die Einsichtnahme hinsichtlich der Entscheidung zur Organspende durch die Behandler noch vor dem Todesfall freigeben kann.

6. § 358 Abs. 1: „Die elektronische Gesundheitskarte muss geeignet sein, das Verarbeiten von medizinischen Daten, soweit sie für die Notfallversorgung erforderlich sind (elektronische Notfalldaten), zu unterstützen.“

Diese Definition ist ungenau und gibt für die Notfallversorgung keinen sicheren rechtlichen Rahmen. Wer entscheidet im individuellen Fall über die Relevanz von Daten im Notfall und damit die Aufnahme in dieses spezielle Datenset? Kann der Versicherte selektiv entscheiden, welche Daten er in als elektronische Notfalldaten angegeben haben möchte? Eine unvollständige Angabe von Notfalldaten kann wiederum in tatsächlichen Notfallsituationen eine erfolgreiche Behandlung fehlleiten. Eine rechtliche Klarstellung sowie inhaltlich-medizinische Festlegung wird dringend empfohlen.

7. § 359 Abs. 1: „Ärzte sowie Zahnärzte, die in die Behandlung des Versicherten eingebunden sind, jeweils mit einem Zugriff, der die Verarbeitung von Daten ermöglicht, soweit dies für die Versorgung der Versicherten erforderlich ist.“

Hier ist ebenfalls nicht klar, wer festlegt, ob der Zugriff auf die Daten für die Versorgung der Versicherten erforderlich ist. Dies eröffnet im Falle eines Dissenses während bzw. nach erfolgter Behandlung Raum für Unsicherheiten bei Versicherten wie Behandlern. Es wird empfohlen, hier den Behandlern einen großzügigen Spielraum einzuräumen, um eine Versorgung in akuten Notfällen unstrittig zu sichern

8. § 383 Abs. 1: „Ein sicheres elektronisches Verfahren setzt voraus, dass der elektronische Brief durch geeignete technische Maßnahmen entsprechend dem aktuellen Stand der Technik gegen unberechtigte Zugriffe geschützt wird.“

Die genannten technischen Maßnahmen für sichere elektronische Verfahren sind für alle Teilnehmer verbindlich festzulegen und müssen dem Stand der Technik folgend aktualisiert werden. Es wird dringlich empfohlen, eine zentrale Einrichtung wie die Gesellschaft für Telematik zur Festlegung der gültigen Standards zu benennen.

Berlin, 24.02.2020

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zu „Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen der Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen in der gesetzlichen Krankenversicherung“

Da digitale Gesundheitsanwendungen mit ihren Möglichkeiten aber auch Herausforderungen hohe Relevanz für die Prävention, Diagnostik und Behandlung von psychischen Erkrankungen insbesondere der digital affinen Kinder und Jugendlichen besitzen, messen wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft dem vorliegenden Entwurf hohe Bedeutung bei.

Generell ist die Intention des Gesetzesvorhabens zu begrüßen, transparente und verlässliche Regelungen herbeizuführen, nach denen sowohl Patienten als auch verordnende Behandler digitale Gesundheitsanwendungen in Anwendung und Wirkung einordnen können. Das Gesetzesvorhaben wird die Grundlage für einen äußerst wichtigen Entwicklungsbereich des Gesundheitssystems schaffen und eine wegweisende Orientierung für nachfolgende Regelungen erstellen.

Da ein solches von einer offiziellen und etablierten Behörde geführtes Register für die potentiellen Anwender durchaus einer Zertifizierung gleichkommen könnte, sehen wir im Sinne der gewünschten Transparenz und Verbesserung der Datensicherheit für die Anwender Änderungs- und Ergänzungsbedarf.

Grundsätzlich bitten wir in Hinblick auf Kinder und Jugendliche aber auch auf Menschen mit einer eingerichteten Betreuung eine Ergänzung des Begriffes „Patienten“ um „Patient und ggf. gesetzlicher Vertreter“.

Nachweis eines positiven Versorgungseffekts
Ein wesentlicher Inhalt des Entwurfes ist die Darstellung eines positiven Versorgungsaspektes, was vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Unzahl von nicht evaluierten digitalen Gesundheitsanwendungen für Patienten wie Behandler von erheblicher Bedeutung ist. Die DGKJP ist verwundert, dass zur Aufnahme in das geplante und von der BfArM zu verwaltende Register keine verpflichtende Vorlage eines Wirknachweises vorgesehen ist, aktuell ist eine Aufnahme zur Probe vorgesehen. Die Vorlage lediglich eines Evaluationskonzepts wäre nach dem derzeitigen Stand also ausreichend für die Aufnahme in das Register. Wir halten einen Wirknachweis nach wissenschaftlichen Maßstäben für unbedingt erforderlich vor einer Registrierung durch das BfArM, da durch die offizielle Registrierung bei den Anwendern der Eindruck einer Zertifizierung durch eine staatliche Behörde entstehen wird. Insbesondere ist aber auch absolut zu fordern, dass die digitalen Gesundheitsanwendungen im Sinne des nil nocere auch eventuelle unerwünschte Wirkungen erfassen müssen. Daher halten wir folgende Ergänzungen für dringend erforderlich:

  1. Nachweis einer wissenschaftlichen Evaluation des positiven Versorgungseffektes vor Aufnahme in das durch das BfArM geführte Register.
  2. Veröffentlichung der Evaluationsergebnisse im Register als Entscheidungsgrundlage für die Anwender, sowohl Patienten als auch empfehlende/verschreibende Behandler.
  3. Die wissenschaftliche Evaluation muss auch die Erfassung von Unerwünschten Wirkungen analog der UAWs bei Arzneimitteln beinhalten. Diese müssen analog der Arzneimittel dem Patienten und empfehlenden / verschreibenden Behandler im Register informativ und geeignet für eine individuelle Risikoabschätzung zur Verfügung gestellt werden.
  4. Verbindliche Verpflichtung des Herstellers auf eine beständige Evaluation hinsichtlich eines positiven Versorgungseffektes und Veröffentlichung der Ergebnisse durch Aktualisierung des Registereintrages in einem zweijährigen Rhythmus um auch bei veränderten Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung einen tatsächlichen positiven Versorgungseffekt sicher zu stellen.

Datensicherheit, -schutz und -management
Digitale Gesundheitsanwendungen erfassen erhebliche hochrelevante Daten des Anwenders, speichern diese und werten sie aus. Im aktuellen Entwurf des Gesetzesvorhabens sind folgerichtig zahlreiche Punkte zu Datensicherheit, -schutz und Management einschließlich Löschung der Daten benannt. Da auf Grundlage dieser Daten Behandlungsempfehlungen gegeben und tatsächliche Behandlungsentscheidungen getroffen werden, sollten diese Daten auch für z. B. forensische Prüfungen zur Verfügung stehen. Daher ist aus unserer Sicht eine gesicherte Datenspeicherung durch die Hersteller analog zur Aufbewahrungspflicht in Praxen oder Krankenhäuser zu regeln. Des Weiteren dürfen Daten nur nach Einwilligung der Patienten an Dritte weitergegeben werden. Aus den bisherigen Erfahrungen mit digitalen Anwendungen wird dringend empfohlen, eine Verpflichtung zur Offenlegung jeglicher Datenweitergabe gegenüber dem Patienten festzulegen.

Generell kann es bei Minderjährigen, insbesondere bei Minderjährigen mit psychischen Erkrankungen, konfligierende Interessen zwischen Patienten und Sorgeberechtigten geben. Dies ist bei möglichen Regelungen zu beachten.

Daher halten wir Ergänzungen des §5 Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit für dringend erforderlich, die eine Aufbewahrungspflicht der erhobenen Gesundheitsdaten für den Hersteller festlegt. Diese sollte analog zu den bisherigen Regelungen für Praxen / Kliniken erfolgen. Im Falle von forensischen Fragestellung Verpflichtung zur Bereithaltung und Offenlegung der Daten sowie Algorhythmen für den Zeitraum der Aufbewahrungspflicht.

Unser Formulierungsvorschlag lautet:
„Die Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen sind verpflichtet, die Aufbewahrung der durch die Anwendung erhobenen Daten über mindestens zehn Jahre sicherzustellen. Im Falle von forensischen Fragestellungen sind die Hersteller verpflichtet, sowohl die Daten als auch eingesetzte Algorhythmen offenzulegen.“

Des Weiteren halten wir für die Transparenz hinsichtlich des Umgangs mit den Daten eine aktive Offenlegung einer Datenweitergabe gegenüber dem Patienten für notwendig. Dabei muss in verständlicher Form die Art der Daten sowie der Nutzen der Datenweitergabe dargelegt werden.

Unser Formulierungsvorschlag lautet:
„Die Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen sind verpflichtet, jeglicher Datenweitergabe an Dritte gegenüber dem Patienten mit für die Zielgruppe der betreffenden Anwender verständlicher Beschreibung der Art der Daten aktiv offenzulegen.“

Im Folgenden benennen wir weitere Punkte in §5 Abs. 2, die aus unserer Sicht spezifiziert und ergänzt werden sollten:

Zu §5 Abs 1:
Bezieht diese Regelung explizit auch Videokommunikationssysteme für Videosprechstunden mit ein? Aus unserer Sicht wäre dies im Sinne der Patienten und Behandler notwendig.

Zu §5 Abs. 4:
„Eine Verarbeitung von Daten zu Werbezwecken ist ausgeschlossen.“ Hier schlagen wir folgende Änderung vor:

Unser Formulierungsvorschlag lautet:
„Eine Verarbeitung von Daten zu Werbezwecken sowie der Verkauf der Daten sowie sonstige nicht vom Patienten autorisierte kommerzielle Nutzung von Daten ist ausgeschlossen.“

Zu §18:
Unter Absatz 2 wird festgelegt, dass von den in §§ 16 und 17 festgelegten Bedingungen durch das BfArM abgewichen werden kann. Dies stellt aus unserer Sicht eine absolute Öffnungsklausel dar, die es ermöglicht, auch ohne Wirknachweis eine Anwendung in das Register aufnehmen zu können. Aus unserer Sicht ist diese Öffnungsklausel nicht erforderlich und hat das Potential die Bemühungen dem Anwender effektive Interventionen kenntlich zu machen zu konterkarieren. Wir halten daher Absatz 2 für verzichtbar. Sollte der Gesetzgeber dennoch eine Öffnungsklausel für erforderlich halten, so wird dringend empfohlen, eine durch den Gesetzgeber klar definierte Ausgangsbedingung herzustellen.

Wir halten das Gesetzesvorhaben für einen wichtigen Schritt in der Ordnung und Etablierung der digitalen Gesundheitsanwendungen in unserem Versorgungssystem und freuen uns, wenn wir als DGKJP einen Beitrag zur gelingenden Gesetzesfassung beitragen können.

Berlin, 17.02.2020