Gemeinsame Stellungnahme der kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Verbände und der wissenschaftlichen Fachgesellschaft zum PsychThGAusbRefG

Am 03.01.2019 legte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung (Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz – PsychThGAusbRefG) vor. Die kinder- und jugendpsychiatrischen und –psychotherapeutischen Fachverbände und die wissenschaftliche Fachgesellschaft haben den Referentenentwurf des Bundesministeriums zur Kenntnis genommen und nehmen wie folgt dazu Stellung.

Mit dieser Reform soll ein neuer Heilberuf des Psychotherapeuten geschaffen werden. Absolventen dieses neuen Heilberufs sollen heilkundliche Psychotherapie erbringen. Die Heilberufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sollen entfallen. Entgegen der durch das BMG vielfach betonten Zielsetzung, lediglich den neuen Heilberuf regeln zu wollen, finden sich in dem aktuellen Gesetzentwurf jedoch zahlreiche Regelungen, die den ärztlichen Beruf erheblich betreffen. Da es in dem zukünftigen neuen Heilberuf um Krankenbehandlung gehen wird, ist die Expertise der Medizin nicht nur in der Ausarbeitung des Gesetzes, sondern in der Umsetzung des neuen Heilberufs zwingend miteinzubeziehen.

A. Allgemeine Anmerkungen zum geplanten Studium der Psychotherapie für den Beruf des nichtärztlichen Psychotherapeuten
Das Psychotherapiestudium ist als Bachelorstudium und Masterstudium geplant. Um ein Psychotherapiestudium anbieten zu können, müssen sich die Fakultäten der Universitäten durch Landesbehörden akkreditieren lassen. Das Bachelorstudium wird auch auf alternative Bezugswissenschaften neben der Psychologie als grundlegender Bezugswissenschaft ausgerichtet werden können. Mehrfach wird in den vom BMG vorgelegten Unterlagen betont, dass das Studium praxisorientiert auf die spätere psychotherapeutische Tätigkeit ausgerichtet werden soll. Dazu sind sog. berufspraktische Einsätze vorgesehen. Theoretisches Wissen soll in schriftlichen Arbeiten und Modulen abgefragt werden, es soll eine Bachelor- und Masterarbeit geschrieben werden. Modellstudiengänge zur Pharmakotherapie sind vorgesehen und sollen zu einer Befugniserweiterung zur Verordnung von Medikamenten durch nichtärztliche Psychotherapeuten berechtigen. Im letzten Semester des Masterstudienganges ist die Durchführung einer praxisbezogenen staatlichen Prüfung vorgesehen, deren Bestehen Voraussetzung für die Erteilung der Approbation ist. Konkrete Mindestanforderungen an Studieninhalte, Näheres zur Psychotherapeutischen Prüfung sowie Vorschriften zur Erteilung einer Approbation sollen vom BMG erstellt werden. Die nach der Approbation mögliche Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten, dann auch mit spezifischer Weiterbildungsmöglichkeit für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, soll Angelegenheit der Psychotherapeutenkammern sein. Im Gesetzentwurf gibt es dazu keine näheren Regelungen.

Selbsterfahrung wird im Rahmen des Studiums nicht verpflichtend vorgeschrieben. Damit fehlt ein grundständiger Baustein psychotherapeutischer Kompetenz und in den bisher bekannten vorläufigen Inhalten der Approbationsordnung sind keine Anteile zum Erlernen der Reflexion der Therapeut-Patient-Beziehung unter ausreichender Berücksichtigung der Eigenanteile des Therapeuten enthalten.

Europäische Regelungen: Der Gesetzentwurf befasst sich ausführlich mit europäischen Regelungen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten für analoge Qualifikationen. Dabei wird vor allem auf die bisherige berufliche Tätigkeit, den Kenntnisstand und lebenslanges Lernen fokussiert. Es ist sicherzustellen, dass eine vergleichbare akademische Grundqualifikation bei Anerkennung analoger Qualifikationen zwingend gefordert wird.

Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie: Sehr erfreulich ist, dass dieser zur Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung von Verfahren beibehalten werden soll und paritätisch von Psychotherapeuten und Ärzten besetzt sein soll. Funktion und Aufgabenstellungen sollten aber genauer definiert werden.

B. Wichtige spezielle Aspekte des Gesetzentwurfs aus der Sicht von Ärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

Berufsbezeichnung Psychotherapeut/ärztlicher Psychotherapeut:
Mit dem jetzt vorgelegten Referentenentwurf soll die Psychotherapeutenausbildung von nichtärztlichen Psychotherapeuten neu geregelt werden. Psychotherapeut ist laut Referentenentwurf, wer ein Psychotherapiestudium erfolgreich absolviert hat. Falls das Gesetz umgesetzt werden sollte, wird es im deutschen Gesundheitssystem verschiedene Psychotherapeuten geben:

1. Psychotherapeuten mit Staatsexamen und Approbation, die heilkundliche Psychotherapie über alle Altersgruppen erbringen dürfen.

2. Fachpsychotherapeuten mit abgeschlossener Weiterbildung in mindestens einem psychotherapeutischen Verfahren und Spezialisierung auf Kinder- und Jugendliche bzw. auf Erwachsene. Diese dürfen dann bei entsprechender Zulassung GKV-finanzierte Krankenbehandlungen durchführen (als Vertragspsychotherapeut bzw. im Erstattungsverfahren nach §13 Abs. 3 SGB V).

3. Ärzten soll erlaubt werden, die Bezeichnung Ärztlicher Psychotherapeut neben der Berufsbezeichnung Arzt oder Ärztin zu führen – allerdings nur, wenn sie „überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte“ sind.

4. Nicht erkennbar wird in dem Referentenentwurf, welche Berufsbezeichnung Absolventen des Masterstudiengangs, welche die sich anschließende Staatsprüfung nicht erfolgreich ablegen und ohne Approbation bleiben, haben sollen.

In der geplanten neuen Formulierung des §28 Abs.3 S.1 SGB-V werden als Leistungserbringer für Psychotherapie (a) Psychologische Psychotherapeuten, (b) Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, (c) Psychotherapeuten im Sinne des neuen Psychotherapeutengesetzes und (d) Vertragsärzte entsprechend der Richtlinie nach §92 SGB V genannt.

Es stellt sich die Frage, warum im jetzigen Gesetzentwurf überhaupt Regelungen zu ärztlichen Berufsbezeichnungen getroffen werden. Nach den Weiterbildungsbestimmungen der Ärztekammern haben Ärzte mit entsprechender Weiterbildung die Berechtigung, sich Psychotherapeuten zu nennen. Insofern sehen wir hier keinen Regelungsbedarf an dieser Stelle und lehnen die Regelung in § 1 des Referentenentwurfs ab. Da jedoch gerade die Berufsbezeichnung von besonderer Bedeutung für die Identifikation der Berufsgruppen ist, möchten wir dennoch inhaltlich auf die Berufsbezeichnung eingehen.

Die in der Gesetzesbegründung genutzte Formulierung, dass sich diejenigen Ärzte, die „überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätig“ sind, Ärztliche Psychotherapeuten nennen dürfen, wirft grundsätzliche Fragen auf. Im Referentenentwurf wird auf die Definition für „überwiegend und ausschließlich“ nicht eingegangen. „Überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch“ tätige Ärzte sind nach den Regelungen der ambulanten Bedarfsplanung per definitionem, d.h. unabhängig von einer Quantifizierung des Leistungsspektrums des jeweiligen Arztes, diejenigen Ärzte, die als Ärztliche Psychotherapeuten oder als Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie zugelassen sind. Die Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (und alle anderen psychotherapeutisch tätigen Ärzte) müssten im ambulanten Bereich jeweils nachweisen, dass sie überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutische Leistungen im Sinne der Psychotherapie-Richtlinie abrechnen. Es würde sich also in der vertragsärztlichen Versorgung nach dem Tätigkeitsspektrum eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (oder aller anderen psychotherapeutisch tätigen Ärzte) richten, ob er sich Ärztlicher Psychotherapeut nennen dürfte oder nicht. Die Bezeichnung Ärztlicher Psychotherapeut wäre damit nicht an die Qualifikation des Arztes, sondern an sein aktuelles Tätigkeitsspektrum geknüpft. Diese quantitative Wertung der psychotherapeutischen Tätigkeit eines Arztes hat sich schon längst als untauglich erwiesen. Wie im stationären Bereich die „überwiegend und ausschließlich“ psychotherapeutische Tätigkeit festgestellt werden soll, wird nicht deutlich. Denkbar wären aus Sicht der Unterzeichner allenfalls folgende Regelungen zur Berufsbezeichnung:

§ 1 Abs 1 PsychThGAusbRefG: Berufsbezeichnung, Berufsausübung
Wer die heilkundliche Psychotherapie ausüben will, bedarf der Approbation als „Ärztin“, „Arzt“, „Psychotherapeutin“ oder „Psychotherapeut“. Eine vorübergehende Ausübung des Berufs ist auch auf Grund einer befristeten Erlaubnis nach § 3 Absatz 1 oder 2 dieses Gesetzes zulässig. Die Berufsbezeichnung „Psychotherapeutin“ oder „Psychotherapeut“ darf führen, wer nach Satz 1 oder Satz 2 dieses Gesetzes zur Ausübung des Berufs befugt ist. (Anmerkung: Das Wort „nur“ nach „darf“ ist zu streichen)
Ärztinnen und Ärzte, die die Berechtigung zum Führen der Gebietsbezeichnung Psychotherapeutische Medizin oder Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder der Gebietsbezeichnung Psychiatrie und Psychotherapie oder der Gebietsbezeichnung Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie haben, dürfen die Bezeichnung „fachärztliche Psychotherapeutin“ oder „fachärztlicher Psychotherapeut“ verwenden. Ärztinnen und Ärzte, die die Berechtigung zum Führen der Zusatzweiterbildung „Psychotherapie“ haben, dürfen die Bezeichnung „ärztliche Psychotherapeutin“ oder „ärztlicher Psychotherapeut“ verwenden.

Abweichend von eindeutigen Festlegungen in der ärztlichen Berufsordnung, dass der ärztliche Beruf kein Gewerbe sei, wird in §1 Abs 2 S 1 PsychThGAusbRefG die heilkundliche Psychotherapie als „berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit…“ definiert. Konkludent zur Festlegung in der ärztlichen Berufsordnung benennt § 18 Abs 1 S 2 EStG die ärztliche Tätigkeit explizit als freiberufliche Tätigkeit. Psychotherapeuten sind im EStG hier nicht genannt, sondern allenfalls unter „ähnliche Berufe“ subsummiert. Soll also mit der Neuordnung der Psychotherapeutenausbildung die heilkundliche Psychotherapie auch gewerblich betrieben werden? Bislang ist die Psychotherapie durch die geltenden Richtlinien, die Zuständigkeit der Kammern für die heilkundliche Praxis sowie die Standesgerichtsbarkeit sehr gut qualitätskontrolliert. Eine Klarstellung, was der Gesetzgeber unter „gewerblicher Tätigkeit“ der approbierten Psychotherapeuten versteht, ist aus Sicht der Unterzeichner erforderlich, alternativ eine Streichung des Begriffs „gewerblich“.

Zu § 1 Abs 2 PsychThGAusbRefG: Inhalte der „heilkundlichen Psychotherapie“
Nach § 1 Abs 2 des Referentenentwurfs ist Ausübung der heilkundlichen Psychotherapie im Sinne des Gesetzes „berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist.“ § 7 Abs 2 definiert in Bezug auf die Ziele des Studiums den Begriff der „Psychotherapeutischen Versorgung“. In § 7 Abs 1 S 1 PsychThGAusbRefG impliziert die Aufzählung von „…psychotherapeutischen, präventiven und rehabilitativen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung…“, dass auch nicht-psychotherapeutische präventive und rehabilitative Maßnahmen dazu zu zählen seien. Die Unterzeichner schlagen zur Klarstellung vor, das Wort „kurativ“ einzufügen und folgendermaßen zu formulieren: „Psychotherapeutische Versorgung im Sinne des Absatzes 1 umfasst insbesondere die psychotherapeutisch kurativen, präventiven und rehabilitativen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung……“, denn dies dürfte die intendierte Aussage im Sinne des Gesetzes sein. Es entspräche dann auch den Inhalten des § 1 Abs 3 S1 PsychThGAusbRefG.

Heilkundliche Psychotherapie durch approbierte Psychotherapeuten soll einen großen Aufgabenbereich umfassen. Nach § 1 Abs 3 des Referentenentwurfs soll „Beratung, Prävention und Rehabilitation“ als heilkundliche Psychotherapie neben der Krankenbehandlung möglich sein. Andererseits sollen nach § 1 Abs 2 „soziale Konflikte…“ nicht behandelt werden. Es bleibt offen, wie eine Abgrenzung zwischen der Beratung bei sozialen Konflikten zu Beratungsthemen und präventiver Arbeit im Sinne heilkundlicher Psychotherapie vorgenommen werden soll.

Ausbildungsziele/Aufgaben der Psychotherapeuten und an der Lehre beteiligte Fakultäten:
In § 7 Abs 1 werden Kompetenzen definiert, die im neuen Psychotherapiestudium erworben werden sollen. Das Studium soll „psychotherapiewissenschaftliche, psychologische, pädagogische, medizinische und weitere beziehungswissenschaftliche Inhalte“ vermitteln. Da sich im Moment primär die psychologischen Fakultäten vorbereiten, die Akkreditierung der Psychotherapiestudiengänge zu erhalten, stellt sich die Frage, wie all diese Inhalte dort vermittelt werden können. Es sind durch die Psychotherapeuten neuer Ausbildung „Störungen von Krankheitswert festzustellen und zu behandeln, bei denen psychotherapeutische Versorgung indiziert ist“. Dazu müssen spezifische diagnostische und differenzialdiagnostische Kenntnisse gelehrt werden, und auch Kenntnisse über andere Behandlungsmaßnahmen wie pharmakologische, psychiatrische, sozialpsychiatrische Maßnahmen vermittelt werden. Notwendig wäre daher, die Kooperation mit medizinischen Fakultäten ausdrücklich gesetzlich zu verankern, damit die Vermittlung der beschriebenen Inhalte im Studium und in Berufspraktika tatsächlich auch sichergestellt werden kann.

Insbesondere werden für die berufspraktischen Einsätze im Bachelor Studium mit 570 Stunden (19 ECTS) und im Master Studium mit 750 Stunden (25 ECTS) Kooperationen mit medizinischen Fakultäten und Kliniken zwingend notwendig sein. Dazu finden sich derzeit im Gesetz keine Regelungen. Regelungen zur Kooperation mit medizinischen Fakultäten sind aus Sicht der Unterzeichner erforderlich.

In diesem Zuge müsste gleichzeitig die Verantwortung für Unterrichtsinhalte, Praktikumszeiten und die Letztverantwortung für klinische Tätigkeiten an Patienten während der praktischen Tätigkeiten geregelt werden, die bei Patienten von Kliniken, Ambulanzen oder Praxen nur schwerlich bei den Fakultäten des psychotherapeutischen Studiengangs liegen kann.

Modellstudiengang Psychopharmakotherapie:
Modellstudiengänge zum Studium pharmakologischer Behandlungsansätze werden von den Unterzeichnern abgelehnt. Es braucht mehr, als nur spezifisches Wissen zur Psychopharmakologie, um diese Medikamente hinreichend sicher verordnen zu können. Auswirkungen auf den gesamten Körper und seiner Organsysteme, unerwünschte Wirkungen und Gegenmaßnahmen, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die spezielle Bedeutung komorbider somatischer Erkrankungen müssen überblickt werden können, um eine sichere Psychopharmakotherapie machen zu können. Die Gesetzesbegründung weist zurecht darauf hin, dass es sich hier um einen Hochrisikoprozess handelt. In den anderen Heilberufen der verschiedenen Gebiete der Medizin werden dementsprechend auch umfassende Kenntnisse im Studium mit biologischen, biochemischen, physiologischen und pathophysiologischen Grundlagen zur Anwendung einer Pharmakotherapie vermittelt und für Therapieentscheidungen vorausgesetzt. Bei Kindern und Jugendlichen kommen zusätzliche Aspekte hinzu, wie z.B. die Berücksichtigung von Entwicklungsaspekten und sehr variablen Dosis-Wirkungsbeziehungen. Angesichts der weitgehend fehlenden Zulassung vieler Medikamente ist Off-label-Gebrauch weit verbreitet und vielfach erforderlich, so dass besondere Anforderungen an die Kompetenz des Verschreibers gestellt werden müssen und zusätzliche Haftungsrisiken bestehen. Ein Modellstudiengang, der die psychopharmakologische Verschreibung umfasst, muss im Rahmen eines Masterstudiums notgedrungen in seinem Umfang begrenzt werden. Es ist völlig ausgeschlossen, all diese Punkte in diesem Rahmen zu vermitteln. Vielmehr ist sogar noch davon auszugehen, dass für die (letztlich doch unzureichende) Qualifizierung zur Psychopharmakotherapie wesentliche Inhalte zur Befähigung als Psychotherapeut im Masterstudiengang wegfallen müssen und die Absolventen des Modellstudiengangs dann weder in Psychotherapie noch in Psychopharmakotherapie ausreichend ausgebildet werden. Die Unterzeichner weisen ausdrücklich darauf hin, dass auch die psychotherapeutischen Verbände sich klar gegen diesen Modellstudiengang ausgesprochen haben. Dieser Umstand wird in der Gesetzesbegründung bereits benannt. Der „Modellstudiengang“ wird von uns abgelehnt.

Befugniserweiterung für Psychotherapeuten:
Den zukünftigen Psychotherapeuten sollen gesetzlich geregelte Befugniserweiterungen zugestanden werden. Diese sollen „zur Entlastung der Ärzte“ erfolgen. Außerdem soll der Psychotherapeut vom „Beruf des Arztes unabhängig“ werden. Zu den neuen Befugniserweiterungen gehören die Verordnung von Ergotherapie (§ 73 Abs 2 S 3) und psychiatrischer Krankenpflege (§ 73 Abs 2 S 4). Aus Sicht der Unterzeichner geht es hier vor allem darum, althergebrachten berufspolitischen Friktionen zwischen den Berufsgruppen zu begegnen. Die Formulierung, ‚den Psychotherapeuten vom Beruf des Arztes unabhängig zu machen‘, macht dies überdeutlich. Tatsächlich müsste es aber darum gehen, die Kooperation zwischen den Berufsgruppen zu fördern, was seitens des BMG an anderer Stelle auch sehr klar formuliert wird.

Bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter ist die Ergotherapie häufig eine angemessene therapeutische Maßnahme, um Entwicklungsverzögerungen etwa der Motorik, der Wahrnehmung und Handlungskompetenzen zu fördern. Wesentliche Indikationen zur Ergotherapie sind rein medizinische, im Kindes- und Jugendalter verbunden mit neurobiologischen Entwicklungsbesonderheiten oder neurologischen Erkrankungen. Damit diese Problemfelder diagnostisch und differenzialdiagnostisch eingeordnet werden können und Therapieentscheidungen getroffen werden können, ist es zwingend notwendig, dass der Verordnende die normale und pathologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf die körperliche Entwicklung, Motorik und neurologische Besonderheiten einschätzen kann. Da nicht erkennbar ist, dass bzw. wie diese Inhalte im geplanten Psychotherapiestudium vermittelt werden, kann nicht plausibel davon ausgegangen werden, dass eine Kompetenz zur Verordnung von Ergotherapie bei Kindern und Jugendlichen erworben wird. Gleiches gilt für die Verordnung von psychiatrischer Krankenpflege. Es wird in den bisherigen Planungen der Psychotherapeutenausbildung nicht erkennbar, dass, bzw. wie Erfahrungen im psychiatrischen Kontext erworben werden sollen. Deshalb lehnen die Unterzeichner diese Befugniserweiterung ab.

Erstellung von Gutachten als Befugniserweiterung:
In § 7 (3) des Referentenentwurfs wird erwähnt, dass Psychotherapeuten am Ende des Studiums befähigt sein sollen, „gutachterliche Fragestellungen einschließlich von Fragestellungen zu Arbeits-, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit auf der Basis umfassender diagnostischer Befunde sowie weiterer relevanter Informationen zu bearbeiten“. Gutachterliche Fragestellungen zur Arbeitsfähigkeit obliegen bisher Fachärzten für Arbeitsmedizin oder Ärzten mit der Zusatzbezeichnung Sozialmedizin. Eine Beschränkung auf den Bereich seelischer Störungen ist im Gesetz nicht erkennbar. Die Anforderung der Vermittlung sozialmedizinischer Kompetenzen für eine entsprechende gutachterliche Tätigkeit sehen wir im Studium und den vorgelegten Entwürfen von Studieninhalten nicht abgebildet. Wir fordern hier zumindest die Klarstellung des Gesetzgebers, dass sich die hier erwähnte gutachterliche Tätigkeit auf seelische Störungen zu beschränken hat, oder eine Streichung dieser Kompetenzerweiterung.

Bedeutung wissenschaftlich anerkannter Verfahren in der GKV:
Für die vertragsärztliche Versorgung findet sich eine entscheidende Veränderung im § 92 Abs 6a SGB V bezüglich der Zuständigkeiten des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA): Die Formulierung bzgl. der Prüfung der „zur Krankenbehandlung geeigneten Verfahren“ im G-BA soll gestrichen werden. Damit entfällt die Prüfung der psychotherapeutischen Verfahren durch den G-BA. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung durch den G-BA muss unbedingt erhalten bleiben und auch die Kooperation mit dem WBP in der wissenschaftlichen Prüfung der Evidenzbasierung von psychotherapeutischen Verfahren. Regelungen zu den Richtlinien sollen getroffen werden für die Behandlungen „mit den psychotherapeutischen Verfahren, die Gegenstand der Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten sind“. Diese Einschränkung bindet damit per Gesetz die Weiterentwicklung psychotherapeutischer Behandlungsmöglichkeiten in der GKV an diejenigen der nicht-ärztlichen Psychotherapie. Die Unterzeichner lehnen diese Regelung ab.

Die Verbände und die wissenschaftliche Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie setzen sich dafür ein, dass psychisch Kranke, insbesondere Kinder und Jugendliche, nach den gleichen wissenschaftlichen, ethischen und Patientenschutz-Vorgaben behandelt werden sollen wie somatisch erkrankte Patienten.

30. Januar 2019

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit
Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)

Das Bundesministerium für Gesundheit hat einen Referentenentwurf für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) vorgelegt, und um Stellungnahme bis zum 14.12.2018 gebeten. Die DGKJP als wissenschaftliche Fachgesellschaft der Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie nimmt zum Referentenentwurf wie folgt Stellung:

Zu Art. 1 und Art. 2 − Änderungen im AMG:
Die DGKJP begrüßt alle zielführenden Maßnahmen zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit in der Forschung und der Anwendung. Zu schätzen wissen wir das besondere Vertrauen, welches das AMG weiterhin der Berufsgruppe der Ärztinnen und Ärzte entgegenbringt. Besondere Regelungen zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit sind bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen wegen der erhöhten Vulnerabilität und des besonderen Schutzbedarfs dieser Gruppe erforderlich. Hier sehen wir die Interessen auch der nicht weiter erwähnten Kinder und Jugendlichen im Referentenentwurf dennoch gut abgebildet.

Die geplante Änderung von § 48 AMG durch Wegfall der Sätze 2 und 3 (Arzt-Patientenkontakt vor Verschreibung eines Arzneimittels nicht mehr zwingend erforderlich) betrachten wir mit Zurückhaltung. Wie sich der Begründung des Gesetzentwurfs entnehmen lässt, lässt § 7 Abs.4 Musterberufsordnung die ausschließlich telemedizinische Behandlung und Beratung bzw. Behandlung über Kommunikationsmedien in begründeten Einzelfällen zu. Nicht in Frage gestellt werden sollte aus unserer Sicht, dass Patientinnen und Patienten grundsätzlich im persönlichen Kontakt behandelt werden. Für die sich ergebenden Ausnahmefälle stellt § 48 AMG unseres Erachtens eine ausreichende Rechtsgrundlage dar. Denn bereits nach geltendem Recht ist eine Ausnahmeregelung normiert, die diese Fälle zu regeln vermag.

Wir begrüßen ausdrücklich die Nennung der Hersteller bei Rücknahme oder Widerruf der Zulassung eines Medikamentes in § 34 Abs 1e zur Erhöhung der Verantwortlichkeit der pharmazeutischen Industrie.

Zu Art. 8 − Änderungen im BtMG:
Wir begrüßen die geplanten Änderungen hinsichtlich einer Beschleunigung des Einschlusses neuer psychoaktiver Stoffe (NPU) in die Anlage des BtMG. Gerade Jugendliche sind sehr gefährdet, unkritisch neue Stoffe zu konsumieren, zumal dann wenn sie unter dem Etikett der „legal highs“ vermarktet werden.

Ergänzend zu den laut Referentenentwurf geplanten Änderungen im BtMG bitten wir um eine Anpassung des Gesetzes sowie der BtmVV § 2, was die Mitgaberegelungen von unter das BtMG fallenden Medikamenten anbelangt (für das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie betrifft dies vor allem die ADHS-Medikation). Nach wie vor existieren Konstellationen in denen sich die in der Klinik tätigen Ärztinnen und Ärzte einem Strafbarkeitsrisiko aussetzen, wenn sie für den Patienten notwendige Medikamente während einer tagesklinischen Behandlung aus dem Stationsbestand den Sorgeberechtigten für die Gabe am nächsten Morgen oder über das Wochenende während einer stationären oder teilstationären Behandlung mitgeben möchten. Gleiches gilt für die Entlasssituation am Wochenende oder vor einem Feiertag. Die Strafbewehrung im Konflikt mit dem ethischen Gebot der Sicherstellung der Versorgung von Patienten, deren Familien oft aus prekären Verhältnissen kommen, ist nicht weiter hinnehmbar und erfordert dringend eine gesetzliche Regelung (siehe auch das gemeinsame Positionspapier der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Schmerztherapeutischen Verbände vom 8.6.2018) und die darin vorgeschlagenen Änderungen in § 4 Abs 1 BrMG und § 12 Abs. 3 BtMG sowie die vorgeschlagene Ergänzung von § 13 BtMG). Auch im Rahmen einer stationsäquivalenten Behandlung nach § 115d Abs 2 SGBV ist eine Behandlung mit Betäubungsmitteln im häuslichen Umfeld durch Abgabe der BtM an die Eltern praktisch nicht möglich, wenn das BMG bei der uns mitgeteilten Auslegung des BtmG/ der BtMVV verbleiben würde.

Wegen weiterer Einzelheiten aus Sicht unseres Fachgebietes verweisen wir auf das Schreiben der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und der Fachverbände vom 14.08.2018 sowie das Schreiben der BAG KJPP an den Staatssekretär Stroppe vom 01.12.2017.

Zu Art. 10 – Änderungen im PflBG:
Die vollständige Refinanzierung der Ausbildungsvergütungen im ersten Ausbildungsjahr kann eine sinnvolle Entlastung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen darstellen.
Sichergestellt werden sollte, dass das Verhältnis zu den Regelungen für die mit Krankenhäusern verbundenen Ausbildungsstätten gem. §§ 2 Abs.1 a KHG i.V.m. § 17a Abs.1 KHG (Inkrafttreten zum 01.01.2019) klar geregelt ist.

Insgesamt glauben wir, dass vor allem die Schaffung gesunder Arbeitsbedingungen dabei helfen kann und wird, dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegen zu wirken, und sehen dahingehend für unser Fachgebiet zuversichtlich den positive Auswirkungen einer Neuregelung der Personalbesetzung in den PPP-Fächern als Nachfolgerin der Psychiatrie-Personalverordnung entgegen, mit welcher der Gemeinsame Bundesausschuss für 2019 beauftragt ist,

Eine Berufsgruppe, die vom Pflegeberufegesetz nicht erfasst ist und immer noch keiner gesetzlichen Regelung zugeführt wurde, ist die Berufsgruppe der Heilerziehungspfleger. Wir sehen die Gefahr, dass wegen der ab dem Jahr 2020 vorgesehenen Vorbehaltsaufgaben in § 4 PflBG der Einsatzbereich dieser Berufsgruppe in der Pflege, insbesondere in der Pflegeplanung gefährdet ist. Das gleiche gilt für die Berufsgruppe der laut Psychiatrie-Personalverordnung als Teil des Pflegerischen Dienstes eingesetzten Erzieherberufe (Erzieher, Jugend- und Heimerzieher). Diese haben in der Praxis unserer Kliniken, in der Regel nach einer durchlaufenen Fachweiterbildung zur Spezialisierung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, auch die Funktionen einer Stationsleitung inne. Hier sehen wir eine sicherlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Diskrepanz zwischen der noch geltenden Psychiatrie-Personalverordnung, dem Operationen- und Prozedurenkodes des DIMDI (OPS) und dem Pflegeberufegesetz zu Lasten der dringend erforderlichen pädagogischen Kompetenz in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. So erfordern sowohl die „Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs“ sowie die „Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses“ nach § 4 (2) PflBG und § 5 Abs 3 PfölBG im Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie ebenso pädagogische wie pflegerische Kompetenzen. Wir bitten somit um eine dringend erforderliche Erweiterung des § 4 (2) Pflegeberufegesetz um die o.g. Berufsgruppen hinsichtlich einer Ausnahmeregelung für die Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie im stationären und teilstationären sowie institutsambulanten Bereich. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die spezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen durch neue gesetzliche Regelungen vernachlässigt werden.

Positionspapier zu Zukunftsthemen in der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland unter dem Dach der DAKJ

Autoren: DGKJP/BVKJ/DGKJ/ DGSPJ/BAG/BKJPP

Kinder haben ein Recht, von Kinderspezialisten behandelt zu werden
Kinder haben ein Recht auf Versorgung durch Spezialisten, die in den Besonderheiten ihrer Erkrankungen gut ausgebildet und erfahren sind. Dies betrifft somatische, psychosomatische und psychische Erkrankungen. Kinder und Jugendliche bedürfen in vielerlei Hinsicht einer besonderen Expertise:

  • altersgemäße Untersuchungstechniken
  • spezielle Kenntnisse des wachsenden Organismus mit seinen physiologischen Besonderheiten
  • spezifische Erkrankungen, die nur in diesem Lebensabschnitt auftreten oder sich hier erstmalig manifestieren
  • Besonderheiten der Pharmakotherapie
  • Kommunikation mit Minderjährigen
  • obligater Einbezug der Familie und des Umfelds
  • Entwicklungspsychologie und -pathologie
  • Spezielles altersspezifisches Setting bei stationärer und ambulanter Behandlung
  • Pflege mit spezieller Ausbildung und Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen

Die oben genannten Fachgesellschaften wissen sich mit diesen Anforderungen in guter Übereinstimmung mit der UN-Kinderrechtskonvention und der UN-Konvention zu den Rechten behinderter Menschen, die diese Rechte auf eine Behandlung mit spezifischer Expertise besonders unterstreichen.

Demographischer Wandel – Sicherstellung von fachlich geschultem Personal in der Krankenversorgung
Der demographische Wandel zeigt sich auch in dem in den letzten Jahren sich verschärfenden Problem, ausreichenden Nachwuchs in allen medizinischen Berufen gewinnen zu können. Dieses Problem zeigt sich besonders deutlich in den personalintensiven Bereichen der Medizin, wie es die Bereiche sind, die Kinder und Jugendliche versorgen. In diesen Bereichen zeigt sich der Nachwuchsmangel ausgeprägt, sowohl im ärztlichen Bereich, wie im Bereich der Pflege. Dabei sind auch regionale Aspekte zu berücksichtigen, denn eine flächendeckende medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist essentiell, um nicht Ungleichheiten zwischen Regionen zu verschärfen, bzw. eine ungünstige demografische Entwicklung in bestimmten Regionen weiter zu verschlimmern. Dort wo die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen nicht gewährleistet ist, wird auch zukünftig keine Familie leben wollen.

Wir fordern:

  • Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze für Kinderkrankenpflege
  • Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze
  • Unterstützung der Weiterbildung von Ärzten, die einen Abschluss in der konservativen oder operativen Kinder- und Jugendmedizin oder Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie anstreben
  • Unterstützung der Vernetzung vorhandener Versorgungsstrukturen

Gerade bei Kindern und Jugendlichen zeigt sich ein sozialer Gradient bei der Gesundheit. Kinder und Jugendliche nicht entsprechend qualifiziert zu versorgen, kann diesen vergrößern und benachteiligt die ohnehin Benachteiligten und kann damit zu einer negativen Spirale für ganze Regionen beitragen, die sich von der insgesamt dynamischen Entwicklung Deutschlands entkoppeln.

Forschung für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen verstärken
Nur durch verstärkte Forschungsanstrengungen kann die Versorgung der Kinder und Jugendlichen langfristig verbessert werden. Erfreulicherweise erfolgte am 6.9.2018 die Mitteilung des BMBF zum Startschuss für ein Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit. Dies stellt eine gute Voraussetzung dar, genuine Forschung für Kinder und Jugendliche strukturiert zu etablieren:

  • Grundlagenforschung aller Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters
  • Präventive und früh intervenierende Maßnahmen haben für das spätere Leben einen entscheidenden Einfluss und sind höchst kosteneffektiv.
  • Erhöhung der Arzneimittelsicherheit für Kinder
  • Förderung von Forschungsnetzwerken

Dies sind Forderungen folgender Fachgesellschaften und –verbände unter dem Dach der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DAKJ):

  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (DGKJP)
  • Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ)
  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ)
  • Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. (DGSPJ)
  • Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (BAG)
  • Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e. V. (BKJPP)

Stellungnahme der DGKJP zum Film „Elternschule“, einem Dokumentarfilm von Jörg Adolph & Ralf Bücheler

Der Film „Elternschule“, der seit dem 11.10.2018 in den deutschen Kinos ausgestrahlt wird, spaltet die Gemüter – von „Kinder-KZ“ bis zu „ein Muss, für jeden, der selbst Kinder hat“ – reicht die Spannbreite der Rezensionen. Dargestellt wird in diesem Film die Behandlung von Kleinkindern mit Verhaltensauffälligkeiten in einer Abteilung für „Pädiatrische Psychosomatik“.

Wie in dem Film dargestellt, ist es aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) zutreffend, dass psychische Störungen im Säuglings- und Kleinkindalter häufig sind und mit einem hohen Leid für die betroffenen Familien einhergehen. Sie sollten deshalb unbedingt von Fachleuten behandelt werden, in schweren Fällen ist dies auch in einem stationären Setting erforderlich.

Aus Sicht der DGKJP gibt es bei der Diagnostik und Behandlung von Kindern mit psychischen Störungen und schweren Verhaltensauffälligkeiten jedoch eine Reihe von Besonderheiten zu beachten, die in dem o. g. Dokumentarfilm nicht ausreichend dargestellt werden:

  • Es muss der Behandlung immer eine ausführliche Diagnostik vorausgehen. Diese sollte neben dem Ausschluss körperlicher Ursachen und der Anamneseerhebung eine sorgfältige Entwicklungsdiagnostik und eine umfassende kinderpsychiatrische Diagnostik des Kindes (insbesondere zum Vorliegen weiterer Störungen, Erfassung von Temperament und Bindung, etc.) beinhalten.
  • Die psychiatrische Diagnostik in dieser Altersgruppe erfordert stets auch die Miterfassung der Vorgeschichte und der familiären Interaktionsmuster sowie die notwendige Abklärung (in Kooperation mit Kollegen aus der Erwachsenenpsychiatrie) etwaiger psychischer Störungen der Eltern.
  • Auf Basis aller diagnostischen Befunde erfolgt die Diagnosestellung, eine differentielle Therapieindikation und das störungsspezifische Behandlungsprogramm gemäß der Leitlinie für psychische Störungen des Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalters (AWMF-Leitlinien). Die Therapieplanung erfolgt nur bei vorliegender Diagnose einer kindlichen Störung und/ oder einer Beziehungsstörung, eine Beratung sollte bei vorliegender Diagnose in jedem Fall erfolgen. Liegt bei einer der primären Bezugspersonen eine psychische Störung vor, so ist ebenfalls eine eigenständige Behandlung zu empfehlen und einzuleiten.
  • Neben den primären Störungen der Kinder sind komorbide Störungen zu diagnostizieren und zu behandeln. Eine Fokussierung in der Interaktion auf das Thema „Wer ist der Boss?“ ist in den meisten Fällen unzureichend und kann zu einer gefährlichen Einengung in der Behandlungsplanung führen.
  • Das Behandlungsprogramm hat sich an den jeweiligen Evidenz basierten Leitlinien (AWMF-Leitlinien) zu orientieren und ist stets der individuellen Bedarfslage und den Lebensumständen der Kinder sowie der Familien anzupassen. Hieraus ergibt sich ein multimodaler Behandlungsplan, der die verschiedenen bedarfsgerechten Therapien beinhaltet. Nur unter Berücksichtigung dieser Aspekte von Diagnostik, evidenzbasierter Therapie, individueller Anpassung, Multimodalität und regelmäßiger Evaluation kann eine moderne und erfolgsversprechende Behandlung sichergestellt werden.
  • Bei allen therapeutischen Maßnahmen sind das Alter, die Vorgeschichte und der Entwicklungsstand des Kindes zu berücksichtigen. Damit muss beispielsweise auch die Dauer der erforderlichen Trennungen von der primären Bezugsperson individuell angepasst und bewertet werden (Leitlinie zu psychischen Störungen im Säuglings-, Kleinkind und Vorschulalter).
  • Die in dem Film dargestellten Behandlungsmethoden zum Üben von Trennungssituationen und zur Schlafanbahnung, die in der Klinik eine lange, sich auch auf andere psychosomatische und somatische Erkrankungen und Störungen erstreckende Tradition haben, sind so hingegen weder wissenschaftlich evaluiert noch vertretbar. Sie sind aus unserer Sicht als klinisch und ethisch bedenklich zu werten und können im schlimmsten Fall dem Kind mehr schaden als nutzen.
  • Ebenso sind die verschiedenen Formen der psychisch bedingten Nahrungsverweigerung nicht gleich zu therapieren. Es gilt u. a. zu unterscheiden zwischen einer Regulations-Fütterstörung, einer Fütterstörung der reziproken Interaktion oder einer sensorischen Nahrungsverweigerung. Auf keinen Fall gehören, wie auch in dem o. g. Film dargestellt, gewaltsame Fütterungen und Fixierungen zu den empfohlenen Behandlungsmethoden. Bei lebensbedrohlichen Zuständen sind in Ausnahmefällen selten Sondenernährungen auch gegen den Willen des Kindes notwendig. Hierbei handelt es sich aber primär um Maßnahmen, irreversible Gefahren abzuwehren und nicht um implementierte Bestandteile einer Therapie.
  • Auch die im Film gezeigten Kinder mit Symptomen von Störungen des Sozialverhaltens bedürfen verschiedener weitaus differenzierterer Therapien, die in der Regel langfristige ambulante therapeutische Konzepte implizieren und die in Kooperation mit Familie, Schule bzw. Kita und Jugendhilfe umzusetzen sind.
  • Die moderne Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen setzt immer voraus, dass das Kindeswohl an erster Stelle steht. Hierzu zählt auch die Achtung des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit und des Rechtes auf Würde. Übergriffige und gewaltsame Methoden zählen keinesfalls zu den genutzten Verfahren. Therapeutische Maßnahmen gegen den Willen der Betroffenen, auch der Kinder, sind nur in Ausnahmefällen und nur unter bestimmten Bedingungen zu rechtfertigen (siehe auch Positionspapier zu freiheitsentziehenden Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen)
  • Es existieren bereits wissenschaftlich gut evaluierte Behandlungsformen zur Verbesserung der Eltern-Kind-Interaktion, z. B. videogestützte Interaktionstrainings. So bieten verschiedene bundesweit verteilte kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungszentren fundierte Eltern-Kind-Therapien an. Diese können sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden.
  • Bei schweren Beziehungsstörungen mit fraglicher Kindeswohlgefährdung sollte entsprechend Artikel §4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) vorgegangen werden.

Die DGKJP betont, dass es sich bei dem Film „Elternschule“ nicht, wie man angesichts des Titels irrtümlicherweise denken könnte, um einen „Erziehungsratgeber“ handelt. Vielmehr wird ein, zumindest so wie es dargestellt wird, nicht unproblematisches verhaltensorientiertes stationäres Behandlungskonzept für die Behandlung von Verhaltens- und psychischen Störungen des Kindesalters gezeigt, das nicht die aktuell verfügbaren wissenschaftlich fundierten Verfahren einsetzt. In der Behandlung von Kindern, insbesondere von Kleinkindern, ist aus kinder- und jugendpsychiatrischer und -psychotherapeutischer Sicht die Stärkung der Beziehung zwischen Eltern und Kind wesentlich. Zusätzlich sollen, durchaus auch mit richtig eingesetzten verhaltenstherapeutischen Methoden, die Kompetenzen des Kindes aufgebaut werden. Dies wird aber über motivationale Strategien, insbesondere eine positive und fördernde Eltern-Kind-Interaktion erreicht und nicht durch Trennung, Zwang und Bestrafung.

Insbesondere die Art und Weise und die Notwendigkeit der Grenzsetzungen durch Erwachsene im Rahmen der Interaktion mit sehr jungen Kindern sind in der Öffentlichkeit zu Recht in Kritik gekommen. An dieser Stelle wäre eine Thematisierung von Aspekten des Kinderschutzes aus kinderpsychiatrischer Sicht wünschenswert. Auch wird in dem Film unzureichend dargestellt, dass Verhaltensstörungen differentielle Behandlungsindikationen erfordern, zumal manche der im Film gezeigten Interventionen schablonenhaft und wenig auf die Spezifika des Kindes moduliert wirken. Hierbei wird eine altersabhängige Berücksichtigung von Bindung, die Behandlung von komorbiden Störungen des Kindes, von elterlicher Psychopathologie und von dyadischen Interaktionsstörungen nicht ausreichend berücksichtigt.

In einem Film können sicherlich nur Teilaspekte von komplexen Behandlungskonzepten dargestellt werden. Inwiefern die o. g. Defizite auf einem unzureichenden Therapiekonzept beruhen oder auf einer verkürzten Darstellung im Rahmen eines Dokumentarfilms, kann durch den Zuschauer allerdings nur schwer beurteilt werden. Dies obliegt nun den zuständigen Kontrollgremien. Generell bedarf die Behandlung von psychischen Störungen von Kindern, insbesondere im Kleinkindalter, eines umfassenderen Konzeptes und einer fundierten kinder- und jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Expertise.

Empfehlungen der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaft und der Fachverbände zu Weiterbildung in Teilzeit

erarbeitet durch die gemeinsame Kommission Aus-, Weiter- und Fortbildung

Präambel
Eine Weiterbildung in Teilzeit sollte jedem Arzt/jeder Ärztin in Weiterbildung (AiW) offen stehen. Die Vereinbarkeit von Weiterbildung und Familie ist den kinder- und jugendpsychiatrischen Verbänden ein wichtiges Anliegen. Die Verbände unterstützen explizit eine Weiterbildung in Teilzeit. Diese sollte zur Sicherung der Weiterbildungsqualität und unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse Minimalstandards erfüllen, die in den nachfolgenden Empfehlungen beschrieben sind. Vorangestellt wird der rechtliche Rahmen.

Rechtlicher Rahmen
Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer gemäß § 8 Abs.1 TzBfG verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird, sofern er länger als 6 Monate beschäftigt ist. Der Arbeitnehmer muss gem. § 8 Abs.2 TzBfG die Verringerung seiner Arbeitszeit und den Umfang der Verringerung spätestens drei Monate vor deren Beginn geltend machen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass dieser Anspruch gem. § 8 Abs.7 TzBfG nur dann besteht, wenn der Arbeitgeber in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt. Dies kann insbesondere im niedergelassenen Bereich bei kleineren Praxen von Bedeutung sein. Eine Weiterentwicklung des Teilzeitrechts, wie beispielsweise einer Brückenteilzeit, befinden sich zur Zeit in der Diskussion. Geplant ist, dass die Änderungen im Jahr 2019 in Kraft treten.

Andere Regelungen für Mitarbeitende in Kliniken können sich auch aus den jeweiligen Tarifverträgen ergeben. Dort wird die Teilzeittätigkeit teilweise noch an minderjährige Kinder und/oder pflegebedürftige Angehörige gekoppelt.

Schließlich ist auch immer § 8 Abs.4 S.1 TzBfG zu berücksichtigen, wonach der Arbeitgeber der Verringerung der Arbeitszeit nur dann zuzustimmen hat und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen hat, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Ein betrieblicher Grund liegt gem. § 8 Abs.4 S.2 TzBfG insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht.

Was die Weiterbildung zum Facharzt/ zur Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Teilzeit anbelangt, sind neben der gerade novellierten MWBO und den Weiterbildungsordnungen der einzelnen Bundesländer auch europarechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. Von Bedeutung sind hier die Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG, die durch die Richtlinie 2013/55/EG noch einmal geändert worden ist. Gem. Art. 25 i.V.m. Art. 22 Ziffer a der Richtlinie 2005/36/EG können die Mitgliedstaaten gestatten, dass die Ausbildung unter bestimmten Voraussetzungen auf Teilzeitbasis erfolgt. Hierbei ist sicherzustellen, dass das Niveau und die Qualität nicht geringer sind als bei einer Vollzeitausbildung. Dies entspricht § 4 Abs.6 der MWBO der Bundesärztekammer

Die Weiterbildungszeit zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie- und psychotherapie beträgt bei Vollzeitbeschäftigung laut MWBO 60 Monate = 5 Jahre. Die Weiterbildung wird durch Weiterbildungsvertrag geregelt. Dieser wird gemäß § 1 ÄArbVtrG befristet, wobei gemäß § 1 Abs.3 ÄArbVtrG die Befristung maximal 8 Jahre betragen darf. Unter engen Voraussetzungen ist eine darüber hinausgehende Verlängerung gesetzlich vorgesehen. So zum Beispiel bei einer Verlängerung der Weiterbildungszeit im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung (§ 1 Abs.3 S.3 ÄArbVtrG). § 1 ÄArbVtrG geht gem. § 1 Abs. 5 ÄArbVtrG den arbeitsrechtlichen Vorschriften und Grundsätzen über befristete Verträge vor. Zu beachten ist allerdings, dass § 1 Abs.1 – 5 ÄArbVtrG dann nicht gelten, wenn der Arbeitsvertrag unter den Geltungsbereich des WisszeitVG fällt, was bei der Weiterbildung an Hochschulkliniken/Universitätskliniken jedenfalls nach der alten Fassung des WisszeitVG der Fall war.

Empfehlungen

  • Der Arbeitsvertrag ist über die Zeitdauer auszustellen, die erforderlich ist, um dem/der AiW die Weiterbildungszeit zu ermöglichen, für die die Weiterbildungsstätte ermächtigt ist (z. B. AIW 50 % Teilzeit, Weiterbildungsbefugnis für 2 Jahre → Arbeitsvertrag mit 50 % Arbeitszeit über 4 Jahre) bzw. für die Zeit zu erhöhen für die der /die AiW die Arbeitszeitreduzierung beantragt hat. Das dient dem Erreichen des möglichen, angestrebten Weiterbildungsziels innerhalb der Vertragsdauer.
  • Laut § 4 Abs.6 der MWBO ist Teilzeit-Weiterbildung anerkennungsfähig, wenn die Teilzeittätigkeit mindestens die Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit umfasst. Ein Antrag beim Deutschen Ärztetag 2018 in Erfurt auf Anerkennung geringerer Anteile wurde an den Vorstand zurücküberwiesen. Einzelne Landesärztekammern haben den Bezug auf die 38,5-Std-Woche tariflicher Arbeitszeit festgelegt, andere erkennen auch geringere Anteile der Regelarbeitszeit an, wieder andere lassen Ausnahmen auf Antrag zu. Mehrarbeitsstunden können im Einzelfall angerechnet werden. Die Anrechnung von Bereitschaftsdiensten (Präsenzdiensten) bedarf einer sorgfältigen Einzelfallprüfung, die lokalen Gesetzmäßigkeiten (Klinikorganisation, Haltung der zuständigen LÄK) Rechnung trägt.
  • die Arbeitszeitverteilung sollte sowohl die familiären Notwendigkeiten des/der AiW als auch die betrieblichen Erfordernisse berücksichtigen. Nach § 8 Abs.3 TzBfG ist hierzu Einvernehmen zwischen Arbeitgeber/-in und Arbeitnehmer/-in herzustellen und die Arbeitszeitverteilung ist nach § 8 Abs.5 TzBfGbis zu einen Monat vor Beginn der Teilzeittätigkeit festzulegen.
  • Gründe die in den Arbeitsabläufen und der Sicherung der Versorgung liegen sind dabei laut § 8 Abs.4 TzBfG zu berücksichtigen (s. oben). Beide Seiten sollten Kompromissbereitschaft zeigen. Der Chefarzt/die Chefärztin bzw. der Praxisinhaber/die Praxisinhaberin sollte auf folgende Faktoren achten, um die Patientenversorgung aufrecht zu erhalten und die Arbeitsverdichtung gerecht auf alle Köpfe zu verteilen:
      • gesunder Mix aus Voll- und Teilzeitkräften
      •  ausreichende Abdeckung der Randzeiten
      • ausreichend Kapazitäten für Patientenfamilien-gerechte Gesprächszeiten
      • Weiterbildungsgespräche sind weiterhin jährlich zu führen
      • Die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen im laufenden Betrieb ist entsprechend des Stellenanteils zu reduzieren, da mehr Zeit für die Generierung aller WB-Inhalte vorhanden ist als bei Vollzeitweiterbildung
      • Die Visiten und Besprechungen sollten so organisiert werden, dass die AiW verkürzt teilnehmen können
      • Teilzeitkräfte müssen sich mit anderen Teilzeitkräften in der Regel Arztzimmer/Büros teilen.

Vorteile der Weiterbildung in Teilzeit für den Arbeitgeber sind, dass längere Vertragsdauern mit dann relativ erfahrenen Kolleg/-innen zustande kommen. Das Verteilen der Arbeit auf mehrere Köpfe hat v.a. für die Flexibilität Vorteile. Ein völliger Ausstieg aus dem Berufsleben kann durch Teilzeit oft vermieden werden, was zu Zeiten des Ärztemangels bedeutsam ist.

Nachteile für den Arbeitgeber sind eine Vervielfachung von Anleitungstätigkeiten, eine Erschwernis der Dienst- und Urlaubsplanung und eine Ausweitung von Übergabe- und Besprechungszeiten. Allerdings reduzieren sich durch mehr Teilzeitkräfte die Lücken in der Patientenversorgung, die durch Abwesenheiten des AiW entstehen.

Die Arbeitszeit sollte – bestenfalls elektronisch − erfasst werden. Weiterbildungszeit, auch die extern absolvierten Anteile außer Selbsterfahrung, gilt als Arbeitszeit. Arbeitszeitausfälle durch Betreuung von kranken Kindern oder erhöhte Pflegeanforderungen für ältere Familienmitglieder können durch entsprechende Programme der Arbeitgeber (Betriebs-Kindertagesstätte mit Notfallplätzen, Modelle der Hausaufgabenbetreuung, Plätze für Kurzzeitpflege beim Träger) ausgeglichen werden und sollten arbeitgeberseitig angeboten werden. Anrechnung von Telearbeit an speziell dafür eingerichteten Arbeitsplätzen ist bei wenigen Trägern bereits möglich und erhöht die Flexibilität von Teilzeitarbeit deutlich. Dabei muss selbstverständlich –soweit vorhanden- der Personalrat einbezogen werden und der Datenschutz gewährleistet sein. Weiterbildungsmodule wie z. B. Teilnahme an e-Learning-Programmen, die außerhalb der Teilzeittätigkeit, in der Freizeit oder auch in der Elternzeit erworben worden sind, sollten unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des Arbeitszeitgesetzes und des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes auf die Weiterbildungszeit angerechnet werden.

Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG)

Der am 10.04.2018 veröffentlichte Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) enthält eine Reihe von Ansätzen, die der Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen dienen sollen. Obgleich einzelne dieser Ansätze für sich genommen zu begrüßen wären, so beinhaltet der Gesetzesentwurf als Ganzes eine dramatische Einschränkung der Grundrechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen, verstärkt die bestehende Stigmatisierung und führt zu einer pauschalen Kriminalisierung psychischer Störungen und stellt insgesamt ein Rückschritt für die Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen dar. Die DGKJP, BAG und LAG sowie der BKJPP möchten mit der vorliegenden Stellungnahme darüber hinaus betonen, dass das Gesetz in der vorliegenden Fassung dem besonderen Schutzbedarf und Fürsorgeanspruch von Kindern und Jugendlichen gemäß der UN-Kinderrechtskonvention in keiner Weise gerecht wird.

Die bereits veröffentlichte Stellungnahme des „Aktionsbündnisses zum Bayerischen-Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ vom 23.4.2018 wird von der DGKJP vollumfänglich unterstützt. Der Fokus der Gesetzesvorlage liegt primär auf der Gefahrenabwehr, von der angenommen wird, dass sie von Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgeht. Das Gesetz impliziert damit, dass Menschen mit psychischen (seelischen) Erkrankungen per se gefährlich seien und damit eine analoge Behandlung zu kriminellen Personen gerechtfertigt sei. Diese Einschätzung ist fachlich absolut unzutreffend und stellt eine undifferenzierte und schwere Diskriminierung derjenigen dar, die in Krisensituationen am dringendsten Hilfe und Verständnis benötigen. Jeder und jede Dritte der in Deutschland lebenden Bevölkerung wird zumindest einmal im Leben an einer psychischen Störung leiden. Die potentielle Kriminalisierung von Bevölkerungsgruppen sowie das eklatante Außerachtlassen jeder fachlichen Evidenz ist einer demokratisch gewählten Regierung unwürdig.

Die wesentlichen Kritikpunkte an dem Gesetzesentwurf lassen sich aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht wie folgt zusammenfassen:

1. Alle freiheitsentziehenden Maßnahmen müssen primär der Hilfe und Unterstützung der Menschen mit psychischen Erkrankungen dienen, erst in zweiter Linie der öffentlichen Ordnung.

2. Am deutlichsten weicht der Geist des Gesetzes hierbei von den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen ab. Während eine zivilrechtliche Unterbringung (§ 1631b Abs. 1 BGB) alleinig auf das Kindeswohl abzielt, so spielt das Wohl des Kindes bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung auf Basis des PsychKHG in der vorliegenden Fassung keine Rolle. Die Personensorgeberechtigten erfahren bei einer Unterbringung ihres Kindes nach PsychKHG eine empfindliche Einschränkung der grundgesetzlich in Art. 6 gesicherten Rechte der Erziehungsberechtigten.

3. Daher ist zu fordern, dass bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich Unterbringungen nur dann nach PsychKHG erfolgen können, wenn eine zivilrechtliche Unterbringung nach § 1631b Abs. 1 BGB nicht durchführbar ist, weil die Personensorgeberechtigten nicht erreichbar sind. Entsprechend der überwiegenden Rechtsauffassung sollte die öffentlich-rechtliche Unterbringung das subsidiär einzusetzende Mittel sein.

4. Zudem ist zu definieren, dass eine Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in psychiatrischen Kliniken nur dann nach PsychKHG durchzuführen ist, nachdem eine fachärztliche Untersuchung die psychiatrische Indikation für eine Unterbringung bestätigt hat.

5. Dem öffentlichen Bedürfnis nach Sicherheit ist nicht durch eine Kriminalisierung psychisch erkrankter Personen zu begegnen. Krisensituationen bei seelischen Ausnahmezuständen stellen medizinische Notfälle dar, die analog zu anderen medizinischen Notfällen in aller Regel kurzfristig sind und keine langfristigen Einschränkungen der Grundrechte zur Folge haben dürfen.

6. Die Einspeisung von persönlichen medizinischen Daten in einer Unterbringungsdatei oder die Weitergabe von Daten an Aufsichtsbehörden sind eklatante Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und grundsätzlich abzulehnen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen und jungen Erwachsenen bedeutet eine frühe Erfassung in einem an Straftaten angelehnten Register eine frühe und dauerhafte Stigmatisierung

DGKJP, BAG, LAG und BKJPP fordern deshalb alle verantwortlichen Politikerinnen und Politiker auf, offenbar aktuell schon geführte Sammeldateien von Kindern und Jugendlichen, die auf der Rechtsgrundlage des § 1631b Abs. 1 BGB oder des Bayerischen Unterbringungsgesetzes in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen aufgenommen worden sind, sofort zu löschen. Diese Datensammlung entspricht im Übrigen auch nicht den Datenschutzgesetzen der Länder, des Bundes sowie der EU.

Zusammenfassend fordern die kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände die Bayerische Staatsregierung auf, umfassende Verbesserungen an dem vorliegenden Gesetzesentwurf vorzunehmen und in diesem Prozess eine breite Beteiligung der Fachgesellschaften, sozialen Verbände und Träger sowie der Selbsthilfe und Patientenorganisationen vorzunehmen. Angesichts der heutigen Ankündigung in der Presse, dass die Bayerische Staatsregierung aufgrund der Proteste auf das geplante Register verzichten werde, sehen wir einem neuen Gesetzesentwurf mit hohen Erwartungen entgegen.

Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)
Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (BAG KJPP)
Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e. V. (BKJPP)
Landesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Bayern (LAG KJPPP Bayern)

Stellungnahme der DGKJP aus Anlass des Parlamentarischen Abends (26. Januar 2017)

Interdisziplinäre Versorgung und Frühe Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Prof. Dr. med. Jörg M. Fegert,
Prof. Dr. med. Michael Kölch, Prof. Dr. phil. Ute Ziegenhain

Die Ausgangslage
Kinder psychisch kranker Eltern sind unterversorgt. Dies ist unter Fachleuten bekannt und wird seit Jahren von verschiedenen Fachgesellschaften – so auch von der DGKJP – beklagt. Dennoch haben bislang keine entscheidenden Verbesserungen stattgefunden: Kinder psychisch kranker Eltern sind häufig und chronisch hoch belastet. Sie leiden unter der Erkrankung ihrer Eltern und ihre Kindheit ist in vielerlei Hinsicht getrübt und beeinträchtigt. Sie sind in doppelter Weise dem erhöhten Risiko ausgesetzt, selber im Lauf ihrer Entwicklung Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen zu zeigen. Zum einen sind sie durch die Erkrankung der Eltern in ihrem Alltag stärker belastet und beeinträchtigt, zum anderen bringen viele psychische Störungen eine vererbbare Empfindsamkeit mit sich, was das Risiko für die Kinder weiter erhöht.

Versorgungslücken
Gravierende Versorgungslücken liegen in unzureichenden (altersadäquaten) Angeboten. Insbesondere für Säuglinge und Kleinkinder mit psychisch kranken Eltern fehlen spezifische Unterstützungs- und Versorgungsangebote oder bestehende Angebote erreichen diese Zielgruppe nicht hinreichend. Punktuelle Initiativen, Projekte und ehrenamtliches Engagement verdecken häufig bestehende Lücken in der Regelversorgung. Reale Versorgungssituation ist aber, dass die Familien nicht hinreichend bzw. nicht systematisch und nicht rechtzeitig unterstützt werden. Hilfen und Leistungen erfolgen meist erst dann, wenn Kinder bereits klinisch relevante Verhaltensauffälligkeiten entwickelt haben. Gerade kleine Kinder mit psychisch kranken Eltern wirken oft angepasst und unauffällig. Dies täuscht selbst Fachleute nicht selten über beginnende Fehlentwicklungen hinweg.

Der Unterstützungsbedarf ist vielfältig. Er erstreckt sich von alltagspraktischer Unterstützung über Entwicklungsberatung und Hilfe bei der Erziehung bis hin zu klinischer bzw. psychotherapeutischer Versorgung für Eltern und Kinder. Gewöhnlich erhalten Kinder psychisch kranker Eltern nur die Hilfen und Leistungen des Systems, in dem sie versorgt werden, nicht aber Leistungen eines jeweils anderen Systems, selbst wenn diese indiziert wären. Eine medizinisch und psychosozial gute und angemessene Versorgung für die belasteten Familien ist aber nur in der Zusammenarbeit der Systeme möglich. Diese wird durch fehlende systematische bzw. wenig verbindliche interdisziplinäre Kooperations- und Vernetzungsstrukturen zwischen den beteiligten Professionellen und den Systemen (Gesundheit, Jugendhilfe und Soziales) erschwert.

Politischer Handlungsbedarf
Verschiedene Fachverbände haben sich in der jüngeren Vergangenheit mit Stellungnahmen und Initiativen darum bemüht, die Unterstützung und Versorgung von Kindern psychisch kranker Eltern zu verbessern. Das Eckpunktepapier „Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen im Kontext der Frühen Hilfen“ (1), zu dessen Autoren der Past-President der DGKJP gehört, wurde von 23 Fachverbänden mit unterzeichnet. Vorangegangen waren Initiativen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, wie die „Neuköllner Erklärung“ (2). Ebenso gab es in der Vergangenheit durchaus punktuelle Initiativen im parlamentarischen Raum, z.B. eine Befassung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Bisher sind daraus keine strukturell verankerten ressortübergreifenden Verbesserungen für junge Kinder mit psychisch erkrankten Eltern hervorgegangen. Die DGKJP begrüßt inhaltlich die im Antrag von Bündnis90/Die Grünen (Bundestagsdrucksache (18/9856) vorgetragenen zentralen Forderungen, wie die eine interdisziplinäre und verbandsübergreifende Expertenkommission einzurichten sowie eine breite Aufklärungskampagne zu starten.

Für die Etablierung einer verbesserten Versorgungsqualität ist politische Unterstützung zwingend, und zwar über Parteigrenzen und Ressorts hinweg. Sie muss gezielt und parallel an unterschiedlichen Punkten ansetzen.

Bundespolitischer Handlungsbedarf besteht in der rechtlichen und finanziellen Klärung der Rahmenbedingungen für interdisziplinäre Kooperation und Vernetzung. Dies gilt für die fallübergreifende Koordinierung zwischen den Systemen bzw. für die Regelungen in den relevanten Sozialgesetzbüchern. Mindestens beteiligt sind die Kinder- und Jugendhilfe, die Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, psychologische Psychotherapie, Erwachsenenpsychiatrie, Arbeitsagenturen, Sozialhilfe, Rehabilitation und Teilhabe und damit die Überprüfung von Regelungen in den Sozialgesetzbüchern SBG VIII, SGB V, SGB II, SGB XII und SGB IX.

Dies gilt auch für die Gestaltung und Steuerung der interdisziplinären Zusammenarbeit im Einzelfall. Es bestehen Regelungs- und ggf. Finanzierungslücken, wenn Unterstützungsangebote und Leistungen individuell und aus unterschiedlichen Systemen und Sozialgesetzbüchern zusammengesetzt werden, so wie es der fachliche Standard vorsieht.

Handlungsbedarf besteht zudem in der (Weiter-)Entwicklung von altersspezifischen Versorgungsangeboten und deren breite Etablierung in die Regelstrukturen. In den Frühen Hilfen wurden hier niedrigschwellige und selektiv-präventive Programme zur Förderung elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen erfolgreich erprobt. Für deren Ausbau und systematische Etablierung in die Breite ist politische Unterstützung notwendig.

Handlungsbedarf besteht schließlich darin, eine disziplinübergreifende gemeinsame Sprache, gemeinsame Standards für die interdisziplinäre Versorgung sowie interdisziplinäre Aus-, Fort- und Weiterbildungen systematisch zu etablieren. Die Verantwortung für diese inhaltliche Weiterentwicklung und für fortlaufende Qualitätssicherung liegt bei den Fachgesellschaften. Politische Unterstützung wird aber bei der Erarbeitung der Standards und der systematischen Dissemination der Inhalte benötigt. Zeitgemäß wäre die Etablierung und nachhaltige Förderung von E-Learning-Plattformen, über die interdisziplinäres berufsgruppenübergreifendes (Anwendungs-)Wissen qualitätsgesichert und gleichzeitig niedrigschwellig und breit angeboten werden kann.