In medizinischen wie psychologischen Fachgebieten gibt es immer wieder Personen, die mit oftmals simplifizierenden und vereinfachenden Hypothesen eine enorme mediale Präsenz erlangen, eine ausreichende wissenschaftliche Fundierung jedoch nicht nachweisen. Die DGKJP als wissenschaftliche Fachgesellschaft distanziert sich daher klar von Äußerungen, Theorien oder Meinungen, die als Privatmeinungen pseudowissenschaftlich verbrämt werden.
Die Attraktivität simplifizierender Äußerungen ist leider ein Problem in der Aufmerksamkeit von Medien und der Öffentlichkeit, die gerne einfache Lösungen für komplexe Probleme aufzeigen wollen oder Antworten erhalten wollen. Wir kennen dies aus zahlreichen Fragestellungen, z.B. den Diskussionen um den Mediengebrauch Minderjähriger, der Versorgung von psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter, und – in jüngster Zeit auch bei der Thematik der Folgen der Covid-19 Pandemie-Maßnahmen für Kinder und Jugendliche. Die DGKJP verfolgt in ihrer Öffentlichkeitsarbeit die differenzierte und wissenschaftlich fundierte Darstellung von Ursachen, Diagnostik und Therapie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter als Grundtenor.

Aus Sicht der DGKJP ist aus aktuellem Anlass festzustellen, dass die Aufdeckung von möglichem Fehlverhalten einzelner Personen sowie die nachfolgende umfassende Aufarbeitung wichtige Mechanismen zur Korrektur von Fehlentwicklungen sind. Im konkreten Fall ist nach der Berichterstattung folgerichtig eine aktuell laufende rechtliche Einordnung und Aufarbeitung eingeleitet worden.

Der Vorstand der DGKJP unterstreicht hier noch einmal die Bedeutung wissenschaftlich fundierter und etablierter Grundsätze in der kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Diagnostik und Behandlung. In diesem Sinne ist die DGKJP aktiv federführend bei vielen Leitlinien, die evidenzbasierte Diagnostik und Therapie darlegen, wie zuletzt z.B. die S3-Leitlinie zur Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen. Für die Disseminierung dieser wissenschaftlich fundierten Standards auch in der breiten Versorgung engagiert sich die DGKJP auf Kongressen und zahlreichen Veranstaltungen, darunter das Curriculum Entwicklungspsychopharmakologie, die jährlichen Facharztrepetitorien oder die neue Reihe der online-Fortbildungen zu Diagnostik und Therapie kinder- und jugendpsychiatrischer Erkrankungen.

Die durch ARD, Süddeutsche Zeitung und andere Medien erfolgte Berichterstattung zu Vorkommnissen um einen Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeuten in Nordrhein-Westfalen ist ein wichtiger und notwendiger Beitrag zur Aufdeckung von möglichen Fehlentwicklungen und dem kontinuierlichen Diskurs hinsichtlich der Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen. Dennoch ist es sehr wichtig, von Verallgemeinerungen, wie einer „unseligen Allianz“ der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe, Abstand zu nehmen. Eine pauschalisierende Berichterstattung würde den Anstrengungen und Leistungen der weit überwiegenden Zahl der Versorgenden von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen und deren Familien nicht gerecht. Die Arbeit im Sinne der Kinder und Jugendlichen sowohl der gemeinsamen Kommission „Jugendhilfe, Arbeit, Soziales und Inklusion“ der Fachgesellschaft und der zwei Verbände BAG kjpp und BKJPP als auch verschiedener Initiativen in der Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe werden durch ungerechtfertigte pauschalisierende Einordnungen in ihren jahrelangen Bemühungen um gute Kooperation diskreditiert.

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, wie vulnerabel Kinder und Jugendliche in der Betreuung der Kinder- und Jugendhilfe sind, insbesondere welch erhöhtes Risiko sie für psychische Erkrankungen aufweisen. Zudem ist ebenfalls durch zahlreiche Studien belegt, dass gerade diese vulnerablen Kinder und Jugendlichen noch immer schlechter versorgt werden als Kinder außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe. Sowohl die eben genannte gemeinsame Kommission als auch der Vorstand der DGKJP wie auch wissenschaftliche Projekte einzelner Fachvertreter*innen bemühen sich, die Kooperation auf einer evidenzbasierten und wissenschaftlichen Ebene zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe zu intensivieren. Umso bedauerlicher wäre es, dass offenbar durch das – zumindest in der medialen Berichterstattung dargestellte – Verhalten einzelner kinder- und jugendpsychiatrisch tätiger Personen, die Kooperation und das Bemühen um eine verbesserte kinder- und jugendpsychiatrische und –psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe generell als problematisch gesehen würde. Hierzu verweisen wir auf die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung, die darauf beruhenden fachlichen Standards, sowie den Ergebnissen aus der Politik zur Notwendigkeit der Kooperation und einer besseren interdisziplinären Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Hierin sind wir uns auch mit der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe e.V. (AGJ) einig.

Auch muss vor einer grundsätzlich negativen Betrachtung der Verwendung von Psychopharmaka in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen gewarnt werden. Dem widerspricht klar die sehr gute Studienlage zur indikationsspezifischen Wirksamkeit verschiedener Psychopharmaka in Kindes- und Jugendalter. Bei vielen schwer erkrankten Patient*innen ist eine medikamentöse Behandlung ein wichtiger Baustein der Therapie und kann in manchen Fällen auch die Anwendung z.B. einer Psychotherapie erst möglich machen. Wie stets von der DGKJP gefordert, ist in der Verschreibung und Anwendung von Psychopharmaka eine klare Indikationsstellung erforderlich, die auf einer umfassenden und state-of-the-art Diagnostik basiert. Eine fachlich fundierte, unerwünschte Wirkungen überwachende wirksame Psychopharmakotherapie darf den Kindern und Jugendlichen, die davon profitieren können, nicht vorenthalten werden. Dazu gibt es eine Fülle an fachlichen Hinweisen und Leitlinien. Dies bedingt, dass Symptome und Nebenwirkungen erfasst werden, und selbstverständlich mit den Patient*innen, Sorgeberechtigten und ggfs. weiteren betreuenden Personen besprochen werden. Die entsprechende Aufklärung und die Einholung der Einwilligung zu einer (medikamentösen) Therapie sind gesetzlich kodifizierte Standards, denen selbstverständlich zu folgen ist.

Wir möchten unsere Mitglieder insbesondere darauf hinweisen, dass wissenschaftlich nicht fundierte private Theorien oder „Phantasiediagnosen“ in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen nicht mit den Grundsätzen der DGKJP vereinbar sind. Ebenso möchten wir nochmals auf die Institution unseres Ombudsmannes hinweisen, der sowohl für Patient*innen als auch für Mitglieder bei Verdacht auf ethisches und/oder wissenschaftliches Fehlverhalten als Ansprechpartner zur Verfügung steht.

Der Vorstand der DGKJP

An:
Bundesministerin Anja Karliczek
Bundesministerin Christine Lambrecht
Kultusminister*innen der Länder

In den letzten Wochen und Monaten wurden die negativen Effekte der Sars CoV2-19-Pandemie auf die Entwicklung und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen vielfältig diskutiert. Dabei wird die hohe Bedeutung des Lebensraumes Schule nicht nur in Bezug auf die Lern- und Leistungsaspekte, sondern auch für eine gesunde psychosoziale Entwicklung für Schülerinnen und Schüler einhellig betont. In der Diskussion um die schulischen Lerndefizite werden jedoch regional bereits jetzt Leistungsnachweise forciert oder die Notwendigkeit für ein „rasches Aufholen“ von Lerninhalten als höchste Priorität benannt.

Als kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische wissenschaftliche Fachgesellschaft und Fachverbände tragen wir aufgrund der bereits bestehenden stark erhöhten psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen erhebliche Sorge hinsichtlich der Gestaltung der schulischen Rahmenbedingungen nach Beendigung der pandemie-bezogenen Maßnahmen. Bereits jetzt weisen auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen vermehrt schulbezogene Leistungsängste auf, was sich in deutlich erhöhten Anmeldungen in Praxen und Ambulanzen widerspiegelt.

Das letzte Schuljahr mit häufig wechselnden und schwer im Voraus zu planenden Beschulungsmodellen war für alle Beteiligten mit erheblichen Belastungen verbunden, insbesondere für die Schülerinnen und Schüler.
Mit Blick auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen warnen wir eindrücklich vor der Beibehaltung von Leistungsanforderungen und einem forcierten „Aufholen“ von Lerninhalten. Diesbezüglich sei auch betont, dass für die gelingende schulische Entwicklung insbesondere positives Selbstwert- und Selbstwirksamkeitserleben von Schülerinnen und Schülern entscheidend ist. Überforderungssituationen haben hingegen sowohl auf die schulische als auch die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schädliche Auswirkungen.

Dabei sind eine Entlastung in Bezug auf Leistungsanforderungen und die Stärkung der derzeit besonders wichtigen sozialen Aspekte für die gesunde Entwicklung der Schülerinnen und Schüler notwendige Kernelemente. Eine individuelle Lern- und Leistungsdiagnostik, die auch solche emotional-motivationalen Aspekte umfassen sollte, ist zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Kinder wieder ihren Rhythmus im schulischen Alltag gefunden haben, sicherlich die Voraussetzung für eine individuelle Unterstützung der Schülerinnen und Schüler und für die Einleitung notwendiger weitergehender Fördermaßnahmen. Diese sollte aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt und auch nicht auf Kosten der notwendigen Erholungsphasen in den Schulferien erfolgen.

Wir appellieren dringend an Sie, für das kommende Schuljahr eine Anpassung der bestehenden Lehrpläne vorzunehmen, die diesen besonderen pandemiebedingten Belastungen Rechnung trägt. Dabei sind Flexibilisierung und Entlastung in Bezug auf Leistungsanforderungen und die Stärkung der derzeit besonders wichtigen sozialen Aspekte für die gesunde Entwicklung der Schülerinnen und Schüler notwendige Kernelemente.

Wir hoffen, dass unser Aufruf in seiner Dringlichkeit einen konstruktiven Prozess anstößt und stehen Ihnen auch gerne für einen weiterführenden Austausch zur Verfügung.

Die Vorstände von DGKJP, BAG KJPP und BKJPP

Berlin, 24.06.2021

Der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) ist es wichtig, den Nachwuchs für die Wissenschaft zu begeistern und somit die Voraussetzung für eine qualitativ gute und innovative Versorgung zu erhalten.

Aus diesem Anlass verleiht die DGKJP, in der Regel während des DGKJP-Kongresses, den Hermann-Emminghaus-Preis an Nachwuchswissenschaftler*innen.

Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert (bzw. je 5.000 EUR bei zwei Preisträger*innen).

Für die Verleihung des Preises können sich Autor*innen bewerben oder vorgeschlagen werden, die empirische Forschung in dem Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie betreiben. Die Bewerber*innen müssen grundlegende, wissenschaftliche Arbeiten zur Entstehung, Diagnostik, Prognostik oder Therapie psychischer Störungen von Kindern und Jugendlichen geleistet haben. Der Preis richtet sich an promovierte Personen, die zum Bewerbungszeitpunkt weiterhin wissenschaftlich tätig sind. Im Rahmen der Bewerbung werden Aussagen zur zukünftigen eigenen Forschungsstrategie erwartet.

Eine Bewerbung kann eine oder mehrere (thematisch zusammenhängende) wissenschaftliche Publikationen in deutscher oder englischer Sprache enthalten.

Bewerber*innen sind aufgefordert folgende Unterlagen bis zum 31.12.2021 per Post oder E-Mail bei der DGKJP einzureichen:

  • die Publikation(en)
  • das Anschreiben (davon vier DIN A4 Seiten zu Inhalt und Relevanz der Publikation(en) und die Darstellung der weitergehenden Forschungsstrategie
  • Publikationsliste
  • Lebenslauf

Die Ausschreibungsbedingungen finden Sie unter: https://www.dgkjp.de/die-dgkjp/hermann-emminghaus-preis/

Kontakt
DGKJP Geschäftsstelle
Reinhardtstraße 27B
10117 Berlin
E

Wahlprüfsteine für die Bundestagswahl 2021
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)

Die DGKJP geht bei den Wahlprüfsteinen von folgenden wissenschaftlich-epidemiologischen Erkenntnissen aus:

  • Jede zweite psychische Störung im Erwachsenenalter beginnt in der Kindheit vor dem Alter von 15 Jahren (Quelle: Dunedin longitudinal study).
  • Frühe psychische Störungen bei Kindern ziehen enorme Ausgaben der Gesellschaft im späteren Leben nach sich.
  • Frühe Traumatisierungen bei Kindern wirken sich auch auf die somatische Gesundheit im Erwachsenenalter aus.
    Wir verkennen nicht, dass in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, durch Gesetze und Verordnungen die Situation psychisch kranker und gefährdeter Kinder und Jugendlicher zu verbessern. Wir fragen die Parteien allerdings auch, welche Anstrengungen sie diesbezüglich konkret unternommen haben und weiterhin unternehmen wollen.

Darauf basierend, messen wir die zur Wahl stehenden Parteien an den folgenden Punkten:

1. Prävention
Die skandalösen Fälle von Lügde, Mönchengladbach und Staufen haben gezeigt, dass unsere Gesellschaft hinsichtlich des Kinderschutzes und der Missbrauchs- und Misshandlungsprävention und hier insbesondere auch der Zusammenarbeit verschiedener Dienste und Institutionen noch weit entfernt ist von einem effektiven Kinderschutz.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung das Soziale Entschädigungsrecht grundlegend reformiert und Initiativen zur besseren Versorgung von Kindern in Einrichtungen ergriffen hat. Wir begrüßen die Einrichtung von präventiven Modellvorhaben.

  • Das Recht auf gewaltfreie Erziehung in relativer Sicherheit sollte umgesetzt werden durch ein Misshandlungs- und Missbrauchsregister und die Förderung von entsprechenden Registerstudien.
  • Die maximale Anzahl der zu betreuenden Kinder durch eine die Vormundschaft innehabende Person sollte gesetzlich durch eine Obergrenze festgelegt werden.
  • Zur Frühintervention nach Traumatisierungen wird die DGKJP darauf achten, dass Traumaambulanzen nach SGB XIV nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche, mit spezialisierten Fachkräften für Kinder und Jugendliche und kindgerechter Ausstattung, flächendeckend eingerichtet werden.
  • Die Initiativen und geförderten Modellvorhaben zur Prävention von Störungen bei Kindern psychisch kranker Eltern sollten nach positiver Evaluation verstetigt werden.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Welche Anstrengungen werden Sie übernehmen, um die Versorgung von minderjährigen Opfern von Gewalttaten in die Regelversorgung zu bringen? Welchen Stellenwert hat Prävention – gesamtgesellschaftlich und in allen Bereichen der Sozialgesetzgebung – für Ihre Partei?

2. Umsetzung der Kinderrechte und einer kindgerechten Justiz
Kinderrechte sind in dieser Legislaturperiode entgegen den Ankündigungen im Koalitionsvertrag noch kein Bestandteil der Grundrechte deutscher Bürger*innen geworden, wenngleich in vielen neuen Gesetzen dem Selbstbestimmungsrecht von Kindern und Jugendlichen Rechnung getragen wurde.

Wir begrüßen die in dieser Legislaturperiode erfolgte Stärkung der Rechte von Opfern im Strafverfahren und die beschlossene konsequentere Verfolgung von Cyber-Missbrauch.

Das Übereinkommen des Europarats (SEV-Nr. 201) vom 25.10.2007, die sog. „Lanzarote-Konvention“, sollte noch vollständig in deutsches Recht umgesetzt werden. Opfer von Gewalt sollten das Recht auf eine richterliche Videovernehmung durch geschulte Richter*innen erhalten, um ihnen lange, retraumatisierende Gerichtsverhandlungen zu ersparen.

  • Die Ressourcen für Videovernehmungen und Schulungen der Richter*innen sowie für die erforderliche Entlastung derjenigen Richter*innen, welche für Videovernehmungen zur Verfügung stehen, sollten verbindlich vorgesehen werden.
  • Im Spannungsfeld von spezialisierten Angeboten und der Notwendigkeit der Versorgung in Deutschland in der Fläche ist entsprechende Expertise vorzuhalten.
  • In die zwischenzeitlich eingeräumte Möglichkeit einer Videovernehmung nach § 58a StPO sollte eine Wahlmöglichkeit der Betroffenen aufgenommen werden.
  • Kindlichen Opfern von Gewalt sollte ferner eine Psychotherapie zur Verarbeitung der Geschehnisse sofort zukommen. Dem Mythos einer Behandlung, welche der Wahrheitsfindung der Gerichte entgegenstehe, ist entgegenzutreten.
  • Die Kriterien für Glaubhaftigkeitsbegutachtungen sollten grundlegend von einem Expertengremium unter Beteiligung von kinder- und jugendpsychiatrischer Expertise überarbeitet werden.
  • Das Einvernehmen im Koalitionsvertrag, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, sollte spätestens in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.
  • Die DGKJP fordert hinausgehend über die Forderung nach der Besetzung der Position „Kinderbeauftragte*r“ der Regierung auch die Einführung einer Normenkontrolle aller Gesetzesvorhaben in Hinsicht auf ihre Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche und Familien.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Welche Bedeutung messen Sie dem Strafrecht zu? Welche Rolle sehen Sie im Bereich der Kooperation für die verschiedensten Professionen im Spannungsfeld von Strafrecht und Hilfen?
  • Wie stehen Sie zur Aufnahme von Kinderrechten in das GG?
  • Wie wollen Sie gleichwertige Lebensverhältnisse von Kindern sichern, egal ob diese in ländlichen oder in urbanen Regionen leben, auch bezogen auf die Versorgung mit kinder- und jugendpsychiatrischen und –psychotherapeutischen Angeboten unter Berücksichtigung etwa des Fachkräftemangels? Wie kann eine regionale Versorgung diesbezüglich unterstützt, gesichert und weiterentwickelt werden?

3. Intervention und Behandlung psychischer Störungen bei Kindern – Entwicklung der kinder- und jugendpsychiatrischen Leistungserbringung, insbesondere komplexer Behandlungen
Die DGKJP setzt sich dafür ein, dass das „Inverse care law“ der asymmetrischen Ressourcenallokation an psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten durch eine bessere Planung, eine bessere Verzahnung der Angebote und sektorübergreifende Versorgung angegangen wird.

  • Wir fordern einen Schutz der kleinen, dezentralen kinder- und jugendpsychiatrischen Einheiten vor deren Schließung bei Unterschreiten der PPP-RL und das Einrichten regionaler Dialoge zur Unterstützung. In der Kinderheilkunde wurden diesbezüglich Sicherstellungspauschalen gefordert.
  • Wir fordern bei Modellvorhaben zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher nach § 64 b SGB V einen Kontrahierungszwang der Leistungsträger und die intensivere Förderung und den flächendeckenden Ausbau von Modellen für Kinder und Jugendliche (mindestens 1 Modellvorhaben je Bundesland für Kinder und Jugendliche)

Die Entwicklung der Versorgung bedarf der kontinuierlichen Weiterentwicklung unter Berücksichtigung von Expert*innen aber insbesondere auch von Betroffenen. Leistungserbringer neigen zu Partikularinteressen. Der Bedarf muss aber von den Patient*innen aus gedacht werden.

  • Wir fordern eine rechtliche Neuordnung der Möglichkeiten der psychiatrischen und psychotherapeutischen Leistungserbringung für Kinder, eine Aufhebung von unsystematischen Leistungsausschlüssen und eine gute Verzahnung der Versorgung mit dem Ausbau von sektorübergreifenden Angeboten.
  • Es fehlt an einem Kooperationsgebot im SGB V; regionale Verbund- und Netzwerkstrukturen mit dem Ziel einer besseren Vernetzung und mehr Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit sind zu fördern.
  • Komplexen Bedarfen von schwer Erkrankten im Kindes- und Jugendalter wird derzeit in den Regelungen des SGB V aufgrund von Sektorschranken nicht ausreichend begegnet.
  • Die ambulante Versorgung für schwerst psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche in psychiatrischen Institutsambulanzen folgt einem länderspezifischen Abrechnungssystem, das die Betreuungsintensität beeinflusst.
  • Wir fordern eine adäquate Berücksichtigung des Faches bei der Finanzierung von evidenzbasierten Leitlinien zur Behandlung kinder- und jugendpsychiatrischer Störungen sowie die breitere Förderung von Forschungsvorhaben zu deren Umsetzung, insbesondere auch einer Leitlinie zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen sowie die Evaluierung des neuen § 1631b (2) BGB.
  • Die DGKJP setzt sich für eine adäquate Personalbemessung in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken ein und für eine auskömmliche Finanzierung der Personalkosten. Es ist nicht ausreichend, nur die Aufsicht und die medizinische Basisversorgung in personellen Mindestvorgaben sicherzustellen – gewährleistet werden soll nach gesetzlichem Auftrag eine leitliniengerechte Qualität. Die Orientierung an überkommenen Krankenhaus-Strukturen in der aktuellen PPP-RL halten wir für kontraproduktiv. Benötigt wird ein von den Bedarfen der Patient*innen ausgedachtes Finanzierungsmodell, das in der Lage ist, die Komplexität der bisherigen Regelungen zu reduzieren. Hierfür bedarf es eines Personalbemessungsmodells.
  • Rehabilitationsmaßnahmen für psychisch kranke Kinder haben trotz der früheren Versuche der Bündelung im SGB IX keinen systematischen gesetzlichen Rahmen und keine bedarfsgerechte Umsetzungsperspektive in der Fläche erhalten.

Unsere Fragen an die Parteien:

  • Welche konkreten Maßnahmen unterstützen Sie zur Weiterentwicklung und Konsolidierung der Behandlungsangebote für psychisch kranke Kinder? Was wird Ihre Partei dafür unternehmen, dass jedes Kind mit einer psychischen Störung Zugang zu Diagnostik und Behandlung erhalten kann – unabhängig vom Wohnort? Inwiefern wird sich Ihre Partei für eine Prüfung des „Plattformmodells“ der psychiatrischen Verbände zur Krankenhausfinanzierung einsetzen?
  • Welche Lösungen zur von Patient*innen aus gedachten ambulanten Komplexleistungen sehen Sie? Welche Möglichkeiten sehen Sie, bundesweit einheitliche und vergleichbare Versorgungsmöglichkeiten zu schaffen? Wie werden Sie mit den Vorschlägen umgehen, die im Zukunftsdialog der Aktion Psychisch Kranke erarbeitet worden sind? Wie denken Sie über eine Verstetigung dieses bewährten Dialogformates mit Einbindung übergreifender Expertise und der Geschäftsführung durch die Aktion Psychisch Kranke? Wie denken Sie über eine Aufnahme kinderpsychiatrischer Expertise in die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR)? Wie denken Sie über ein Bundesmodellprojekt zur Weiterentwicklung von einzelfallbezogener Koordination und regionaler Kooperation?

4. Arzneimittelversorgung
Die Arzneimittelzulassung bei Substanzen gegen psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter hat sich trotz Maßnahmen der EU etc. nicht verbessert. Es geht nicht darum, dass Kinder keine „Versuchskaninchen“ sein sollen, sondern darum, aus der Erfahrung zu lernen, dass die „stick and carrot policy“ der EU-Verordnung für den Bereich der Psychopharmakologie in Deutschland versagt hat. In der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher geht es meist um off-Label Use von off-patent Medikamenten, die hinreichende Evidenz haben.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Sehen Sie Lösungswege, um Patient*innen zu einer besseren Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu verhelfen, in dem für einen begrenzten Bereich nicht die Efficacy sondern Safety Aspekte zu einer begrenzten Zulassung unter strengen Verordnungskautelen führen könnten? Was sind Ihre Maßnahmen, um die Sicherheit von minderjährigen Patient*innen mit Psychopharmakotherapie zu erhöhen?

5. Bildung und Ausbildung
Die Corona-Pandemie hat die schmerzliche Erfahrung mit sich gebracht, wie sehr das deutsche Bildungswesen vor allem die prekär aufwachsenden Kinder und Jugendlichen benachteiligt, dadurch dass es den Anschluss an die Digitalisierung verpasst hat. Bildungsrückstände von benachteiligten Kindern werden größer.

Die Ausdehnung der Medizinstudienplätze erfolgt allzu zögerlich. Auf eine adäquate Berücksichtigung der Lehrstühle unseres Faches wird zu achten sein. Überfällig ist eine Entscheidung das Fach in die Pflichtlehre aufzunehmen, deren Teil es als einziges Klinisches Fach unter allen anderen bisher nicht ist. Nur dadurch kann das Fach unter Studierenden bekannter werden und nur so der eklatante und gegenüber anderen Fächern zahlenmäßig beispiellose Facharztmangel behoben werden

  • Die DGKJP fordert die bürokratiearme Umsetzung der Digitalisierungsstrategie für Schulen aller Schularten und -stufen und die individuelle Berücksichtigung von Kindern aus prekären Lebensverhältnissen, ebenso eine adäquate Berücksichtigung der natürlichen Bewegungsbedürfnisse von Kindern im Rahmen von Videounterricht.
  • Die DGKJP fordert, dass endlich die Umsetzung der Aufnahme des Faches Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in die universitäre Pflichtlehre für Studierende der Medizin im Rahmen der Approbationsordnung erfolgt.
  • Ferner fordert die DGKJP die zügige Umsetzung der Kapazitätsausweitung im Medizinstudium.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Welche Initiativen im Bildungswesen für die Aufhebung von Benachteiligungen – auch die Aufhebung der Benachteiligung des Faches Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie im Medizinstudium, plant Ihre Partei?

6. Bessere Kooperation von Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die DGKJP setzt sich dafür ein, dass eine gemeinsame, integrierte Hilfeplanung bei psychisch kranken und rehabilitationsbedürftigen Kindern und Jugendlichen im multiprofessionellen Rahmen unter Partizipation der Betroffenen erfolgen kann. Die „Übersetzung“ des BTHG in die Jugendhilfe ist noch zu leisten.

  • Eine gemeinsame Hilfeplanung aus allen Systemen muss rechtskreisübergreifend für teilhabebeeinträchtigte und seelisch oder mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche kodifiziert werden.
  • Dem Kontinuitätsprinzip muss z.B. auch für Pflegekinder Vorrang eingeräumt werden, wie es im Entwurf des neuen SGB VIII vorgesehen ist.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Wie stehen Sie zur „inklusiven Lösung“, die seit Jahren diskutiert wird?

7. Forschungsförderung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Ausschreibung der Deutschen Zentren für psychische Gesundheit und Kinder- und Jugendgesundheit ist erfolgt. Dies begrüßen wir. Gleichzeitig wurde deutlich: das Streben nach exzellenter Forschung wurde in der Ausschreibung auf regionale Netzwerke verengt, und vormalige Förderinitiativen des Bundes, wie „Gesund ein Leben lang“ wurden nicht aufgenommen in die Konzeption. Versorgungsforschung kommt zu kurz.

  • Gerade in einem eher „kleinen“ Fachgebiet wie der KJPP sind nationale Netzwerke von entscheidender Bedeutung.
  • Daten aus verschiedenen Kontexten zur Beurteilung sowohl der Prävalenz psychischer Störungen bei Minderjährigen wie auch zur Versorgungssituation sollten systematischer, z.B. in einem Gesundheitssurvey, unterstützt werden.
  • Versorgungsforschung ist in Deutschland für diesen Bereich zu wenig ausgeprägt. Das RKI kann alleine nicht die Versorgungsdaten bewerten, sondern es bedarf der Förderung auch von Projekten aus dem universitären Bereich.

Unsere Frage an die Parteien:

  • Wie sollen Forschung und Verbünde jenseits der DZ Ihrer Meinung nach gefördert werden?
  • Ist Forschung zu psychischen Störungen, der neuen Morbidität in Industrienationen und deren Behandlung bei Kindern und Jugendlichen in der Zukunft eine Aufgabe, die an medizinischen Fakultäten jenseits von einzelnen DZ eine Rolle spielen soll? Welche Forschungsschwerpunkte für den Bereich der psychisch kranken Kinder wollen Sie setzen – auch für die Versorgungsforschung?

Der Vorstand der DGKJP

Es reicht aus, wenn ein Verbandsvertreter der Kinder- und Jugendärzt*innen mit dem Ziel einer schnelleren Schulöffnung den Begriff der „Triage“ in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erwähnt – und die Presse spricht bundesweit davon. Die Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland seien so überlaufen, dass sie behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche nicht aufnehmen könnten: dem ist nicht so! Der Vergleich mit Corona-Intensivstationen – auch dort stand Triage kurzfristig im Raum – scheint gewollt: „Triage“ findet in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht statt!

Die DGKJP erklärt als wissenschaftliche Fachgesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie zusammen mit der Stiftung Achtung!Kinderseele:

Zwar hat die Corona-Krise zweifelsohne psychische Belastungen und soziale Benachteiligungen bei Kindern verstärkt. Wir haben als wissenschaftliche Fachgesellschaft mehrfach verdeutlicht, dass gerade Kinder mit Vorbelastungen und solche, die sowieso schon benachteiligt sind, Symptome entwickeln. Symptome bedeuten aber noch keine manifesten Erkrankungen, auch wenn dies teilweise so in den Medien berichtet wird (Zeit online, 18.05.2021: „Kinder- und Jugendärzte sehen enorme psychiatrische Erkrankungen“). Vielfach haben wir es aber mit normalen Reaktionen von Kindern auf unnormale Bedingungen zu tun.

Allerdings sind Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen aktuell vermehrt Armutsbedingungen und Misshandlung ausgesetzt. Diese stellen klare Risikofaktoren für seelische Erkrankungen dar. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig die kommunale Daseinsvorsorge in den Zeiten von Pandemie und Lockdown ist, und dass Jugendämter, Schulen, KiTas, offene Jugendarbeit, Notbetreuung ihre Funktionen weiter erfüllen müssen: hinschauen, Not erkennen, die Kinder auch zuhause besuchen. Etliche kreative Lösungen zeugen davon, dass das möglich ist. Allen pädagogischen Kräften und auch allen Kinderärzt*innen kommt hier eine wichtige präventive Funktion zu: dass kein Kind durch die Maschen fällt, wenn niemand seinen Hilfebedarf erkennt.

Dem gegenüber stehen Kinder, die durch Schulschließungen und Lockdown erheblich entlastet werden, nimmt man etwa Mobbing-Erfahrungen als gravierende Ursache für psychische Störungen, und die derzeit Behandlung gerade nicht suchen.

Lediglich regional schon lange bestehende Versorgungsdefizite in unserem Fachgebiet sind unter dem Brennglas der Pandemie und dem gestiegenen Beratungsbedarf verstärkt deutlich geworden – etwa über gestiegene Wartezeiten. Daran gilt es zeitnah und über die Grenzen der Versorgungsgebiete hinweg zu arbeiten.

Festzustellen bleibt:

  • In der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie gilt das Prinzip der Pflichtversorgung für die Kliniken. Das bedeutet: Jedes notfallmäßig und dringlich vorgestellte Kind aus dem zugehörigen Einzugsgebiet wird kinder- und jugendpsychiatrisch in jedem Einzelfall sofort versorgt. Je nach Befund wird dieses Kind entweder zur Krisenintervention oder auch längeren Behandlung direkt stationär aufgenommen. In anderen Fällen erfolgt dieses erst nach einer Wartezeit, diese fällt regional sehr unterschiedlich aus und liegt i.d.R. zwischen zwei und vier Monaten.
  • Betrachtet man die verfügbaren Daten der DGKJP über stationäre Notaufnahmen, sprechen diese dafür, dass manchenorts eher eine größere Zurückhaltung vor stationären Behandlungen zu verzeichnen ist, und keine generelle Zunahme an Notfällen.
  • Studien zur Entwicklung der Häufigkeit von kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen unter Pandemiebedingungen, die auf umfassender Diagnostik basieren, sind auf dem Weg.
  • Es gilt das Prinzip „ambulant vor stationär“ – die ganz große Mehrheit der Kinder bleibt zur Behandlung zu Hause.
  • Die Quote unbehandelter Kinder mit manifesten psychischen Störungen ist in den letzten Jahren gesunken und im Rahmen der aktuellen Pandemie nicht angestiegen; die Versorgungsaufgaben der Kliniken wurden und werden wahrgenommen. Wir müssen dafür sorgen, dass das so bleibt.
  • Im Rahmen einer kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung wird bei entsprechender Notwendigkeit auch die Zusammenarbeit mit anderen Unterstützungssystemen koordiniert, etwa wenn auf beengtem Wohnraum ohne Schule „die Nerven blank liegen“.
  • Krisenmanagement ist kinder- und jugendpsychiatrischer Alltag: rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche. Inner- und außerhalb der Pandemie.

Alle kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken haben während der Pandemie durchweg alle Kinder und Jugendlichen, die eine akute Krise erlebt und schnelle Hilfe benötigt haben, selbstverständlich zu jeder Zeit versorgt. Wir haben uns an Masken in der Psychotherapie gewöhnt und an Online-Kontakte mit Patient*innen und Familien, so dass mehr Patient*innen erreicht werden können. Unser Fach trägt aktuell und auch zukünftig mit diversen Beratungsangeboten dazu bei, Kindern und Jugendlichen durch die psychisch belastende Pandemiezeit zu helfen. Skandalisierungen, wie von dpa verbreitet und in Artikeln in Süddeutscher, ZEIT und vielen anderen online-Journalen wiedergegeben, sind nicht sachlich und helfen niemandem. Und nicht zuletzt: Schulöffnungen alleine werden leider kinder- und jugendpsychiatrische Störungen nicht beheben.

Berlin, 19.05.2021

Die erste interdisziplinäre S3-Leitlinie zur evidenz-basierten Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen wurde veröffentlicht. Sie wurde federführend von Frau Prof. Dr. Christine M. Freitag vom Universitätsklinikum Frankfurt erarbeitet, die herausgebende Fachgesellschaft ist die DGKJP. Die Leitlinie bietet insbesondere Professionen des Sozial- und Gesundheitssystems eine systematische Übersicht empirisch untersuchter Verfahren sowie davon abgeleiteter Empfehlungen und kann somit als konkrete Handlungsempfehlung zur Therapie des komplexen Krankheitsbildes dienen. Der DGKJP ist es bei diesem kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbild besonders wichtig, dass evidenzbasierte, durch wissenschaftliche Studien abgesicherte Therapieverfahren für die Patient*innen und Familien verfügbar sind. Diese Therapie-Leitlinie komplettiert nun die bereits vorhandene S3-Leitlinie zur Diagnostik. Der Vorstand der DGKJP dankt Frau Prof. Freitag herzlich für die Erstellung!

Am 27. April 2021 wurde die AWMF-S3-Leitlinie zur evidenz-basierten Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen veröffentlicht. AWMF steht für die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Die Leitlinie ist in fünfjähriger Zusammenarbeit von Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Patientenorganisationen unter Federführung von Prof. Christine M. Freitag, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Frankfurt, entstanden. Der erste Teil der Leitlinie zur „Diagnostik“ ist erstmalig 2015 veröffentlicht worden und aktuell in Überarbeitung. Jetzt stellt der zweite Teil zur „Therapie“ zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum alle bis 2018 anhand kontrollierter oder randomisiert-kontrollierter Studien untersuchten Therapieansätze vor, die bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Autismus-Spektrum-Störung eingesetzt werden. Dies umfasst psychosoziale, medikamentöse und andere Interventionen.

Therapieziele im Fokus
Die AWMF-S3-Leitlinie wurde maßgeblich von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) vorangetrieben. „Da Autismus-Spektrum-Störungen komplexe, chronische Störungsbilder darstellen, ist die Leitlinie nach Therapiezielen geordnet“, erklärt Prof. Freitag, die auch dem Vorstand der DGKJP angehört. „Zu diesen Therapiezielen können gezielt die empfohlenen Interventionen für unterschiedliche Altersgruppen nachgelesen werden. Zudem wurde, wenn möglich und notwendig, auch eine Differenzierung hinsichtlich der kognitiven Fertigkeiten der Betroffenen mit Autismus-Spektrum-Störung vorgenommen, da dies die Einsatzmöglichkeiten der psychosozialen Interventionen beeinflusst.“

Entscheidungshilfen für alle Beteiligten
In den Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften finden sich systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für Anwender und Betroffene. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und praxiserprobten Verfahren. Leitlinien sind ein wichtiges Instrument, um die Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen voranzutreiben. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften erfasst, prüft und publiziert die Leitlinien. „Die Leitlinie kann von medizinisch-therapeutischem Fachpersonal, aber auch von in Ämtern oder im Bereich der Justiz tätigen Personen, interessierten Betroffenen, Angehörigen und Laien hinsichtlich zahlreicher Fragen konsultiert werden“, so Prof. Freitag. Das vorrangige Ziel ist die Verbesserung der medizinischen Versorgung durch die Vermittlung von aktuellem Wissen, das systematisch recherchiert und kritisch bewertet wurde. Die Anwendbarkeit einer Leitlinie muss in jedem Fall individuell geprüft werden. In begründeten Fällen kann eine Abweichung von den Empfehlungen je nach Indikationsstellung, Präferenzen und partizipativer Entscheidungsfindung erforderlich sein.

Leitlinien der AWMF
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften ist der Dachverband der Fachgesellschaften der Medizin. Die Arbeitsgemeinschaft berät und unterstützt die Fachgesellschaften und koordiniert seit 1995 die Entwicklung ihrer medizinischen Leitlinien. Nach ihrem System werden Leitlinien in vier Entwicklungsstufen eingeteilt und klassifiziert. Die S3-Leitlinie, deren Prozess sich auch die Leitlinie „Autismus-Spektrum-Störungen“ unterzogen hat, ist die aufwendigste und höchste Qualitätsstufe der Entwicklungsmethodik. Das bedeutet, dass die Leitlinie alle Stufen der systematischen Entwicklung durchlaufen hat: Sie wurde von einem repräsentativen Gremium erstellt, die Aussagen beruhen auf einer systematischen Analyse der vorhandenen wissenschaftlichen Evidenz und sie wurde im Rahmen einer strukturierten Konsensfindung des Gremiums verabschiedet.

Publikation:
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-047.html

Für weitere Informationen:
Prof. Christine M. Freitag
Direktorin
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Universitätsklinikum Frankfurt
Telefon +49 69 63 01 – 54 08
E-Mail:
Internet: www.kgu.de

Berlin, 07.05.2021

Fachverbände und Kammern definieren Standards für Unterbringungen und für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen

Die Vertreter*innen juristischer, psychologischer, medizinischer und (sozial)pädagogischer Fachverbände, der Bundesrechtsanwalts- und der Bundespsychotherapeutenkammer haben sich auf ‚Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten nach § 1631b BGB (und zur freiheitsentziehenden Unterbringung nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker)‘ geeinigt.

Festhalten, Fixieren oder Sedieren des Kindes, der Einsatz von Bettgittern oder die Isolierung in sogenannten „Beruhigungsräumen“ – das alles gilt als freiheitsentziehende Maßnahme und greift tief in die Grundrechte der Kinder ein. Lange reichte die Zustimmung der Eltern aus, damit solche Maßnahmen in einem Krankenhaus, Heim oder einer sonstigen Einrichtung zum Einsatz kamen. Die Einrichtungen holten sich oft durch Standardformulierung in den Verträgen eine Generalvollmacht. Seit dem 1. Oktober 2017 gilt das „Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) bei Kindern“. Seitdem müssen solche Maßnahmen vom Familiengericht genehmigt werden, ebenso wie bisher schon die Unterbringung. Vor seiner Entscheidung muss das Gericht ein Gutachten oder – etwa im Eilfall – ein ärztliches Zeugnis einholen. In der Praxis war häufig unklar, wer diese erstellt und nach welchen Standards.

In den vergangenen Monaten erarbeiteten nun Expert*innen unter fachlicher Begleitung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und unterstützt durch den XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes fachübergreifende Qualitätsstandards. Die Landesjustizministerien waren eingebunden und wirkten – zum Teil – fachlich begleitend mit. Die Empfehlungen dienen der Ergänzung der Mindestanforderungen an Gutachten in Kindschaftssachen. Die erarbeiteten Qualitätsstandards sollen allen Verfahrensbeteiligten eine Orientierungshilfe bieten.

Beteiligte Fachverbände und Kammern sind: Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BAG KJPP), Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP), Berufsverband für Beratung, Pädagogik & Psychotherapie (BVPPT), Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Deutscher Anwaltverein (DAV), Der Deutsche Familiengerichtstag (DFGT), Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), Deutsche Jugendinstitut (DJI), Deutscher Juristinnenbund (djb), Deutscher Richterbund (DRB), Fachverband Systemisch-Lösungsorientierter Sachverständiger im Familienrecht (FSLS), Neue Richtervereinigung (NRV), Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht.

Berlin, 31.03.2021

 

Einsatz von Sprach- und Kulturmittlern in der psychotherapeutischen Versorgung von geflüchteten Kindern, Jugendlichen, ihren Familien und Bezugspersonen:

Empfehlungen für die klinische Praxis 

Zusammenfassung
Psychotherapie mit Sprach- und Kulturmittlern ist anspruchsvoll und stellt spezifische Herausforderungen an alle Beteiligten. Gleichzeitig können darüber auch Ressourcen generiert werden, die den therapeutischen Prozess positiv beeinflussen. In diesem Papier werden Probleme und Chancen bei der Arbeit mit Dolmetscherinnen im psychiatrischen/psychotherapeutischen Versorgungskontext von geflüchteten Kindern und Jugendlichen vorgestellt. Es werden Empfehlungen gegeben, wie die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden im Versorgungskontext von Kindern und Jugendlichen optimiert werden kann, um einen Beitrag zur Etablierung von Qualitätsstandards zu leisten .

1. Hintergrund
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge ist Psychotherapie mit Dolmetscherinnen grundsätzlich genauso effektiv wie muttersprachliche Psychotherapie (Brune, Eiroá-Orosa, Fischer-Ortman, Delijaj, u. Haasen, 2011; Lambert u. Alhassoon, 2015). Auch Erfahrungen aus der Praxis bestätigen dies weitestgehend, wobei in Einzelfällen durchaus auch negative Erfahrungen berichtet werden, wenn die Dolmetscherinnen und Therapeutinnen hinsichtlich Sprachmittlung oder transkultureller Sensibilität unzureichend ausgebildet oder reflektiert waren. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von einheitlichen Qualitätsstandards für den Dolmetscherinneneinsatz im psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Kontext sowie im Hinblick auf transkulturell sensible Sprachmittlung. Aktuelle Forschungsarbeiten beschäftigen sich daher mit Besonderheiten, Chancen und Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen und der Frage, wie „Psychotherapie zu dritt“ sinnvoll gestaltet werden kann (Morina, Maier u. Mast, 2010; Wolf u. Özkan, 2012; Boss-Prieto, De Roten, Elghezouani, Madera, u. Despland, 2010; Reher u. Metzner, 2016; Schepker u. Toker, 2009).
Neben Anregungen zur inhaltlichen Gestaltung der Zusammenarbeit mit Dolmetschenden möchten wir auch auf Besonderheiten auf struktureller Ebene hinweisen, deren Berücksichtigung einen wesentlichen Einfluss auf die Qualitätssicherung hat. So wird oft nicht hinreichend beachtet, dass die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden ist, welchem durch zusätzliche personelle als auch finanzielle Ressourcen Rechnung getragen werden muss.
Ziel des vorliegenden Beitrags ist, für das spezifische Setting der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen einen Überblick über Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis zu geben um damit einen Beitrag zur professionellen Handlungssicherheit in der Zusammenarbeit mit Dolmetscherinnen zu leisten.

2. Professionelle Dolmetscherinnen
Im psychiatrisch-psychotherapeutischen Kontext sollten keine Laien- oder Ad-hoc-Dolmetscherinnen (z. B. Familienangehörige oder Krankenhausangestellte) eingesetzt werden, da hierdurch hohe Fehlerquoten und nachfolgend beschriebene unerwünschte negative Nebenwirkungen entstehen (Morina et al., 2010; Salman, 2002; Schepker u. Toker, 2009). Die Praxis zeigt jedoch, dass dies nach wie vor häufig, vor allem im stationären Kontext und in Akutsituationen, geschieht, da keine professionellen Dolmetscherinnen verfügbar sind oder die zusätzlich anfallenden Kosten nicht abgerechnet werden können (Baron u. Flory, 2017). In der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eine Indikation zum Dolmetscherinneneinsatz auch gegeben, wenn die Patientinnen selbst die deutsche Sprache bereits ausreichend beherrschen, ihre Bezugspersonen jedoch nicht. Immer wieder kommt es in solchen Situation außerhalb des therapeutischen Rahmens zu Überforderungen und Rollendiffusionen, da die Kinder für ihre Eltern dolmetschen müssen. So sind Kinder und Jugendliche häufig gehemmt, mit Familienangehörigen über intime oder emotional belastende Themen zu sprechen. In der Rolle des Dolmetschenden bei Familiengesprächen setzt man sie daher nicht nur einer potentiellen emotionalen Überforderung aus, sondern geht auch die Gefahr ein, dass Inhalte „gefiltert“ übersetzt werden. Man überlässt ihnen die Verantwortung darüber, welche Inhalte sie in welcher Art und Weise den jeweiligen Parteien mitteilen. So werden schambehaftete Themen eventuell nicht übersetzt, was wiederum zu intrapsychischen Konflikten des Kindes/Jugendlichen als auch zu Störungen innerhalb des Familiensystems führen kann. Diese Umstände machen eine professionelle therapeutische Arbeit unmöglich und erhöhen die Gefahr von Fehlbehandlungen.

2.1 Anforderungen an Dolmetscher
Dolmetschen ist eine komplexe und anspruchsvolle Tätigkeit. Es erfordert neben sprachlichen Fähigkeiten, eine hohe Konzentrationsfähigkeit, eine gewisse kognitive Reife, ein gutes Bildungsniveau sowie ein hohes Reflexionsvermögen. Dolmetscherinnen sollten in der Lage sein, kulturgebundene Ausdrücke einordnen und erklären zu können (Wolf u. Özkan, 2012). Dolmetscherinnen müssen eine professionelle Haltung einnehmen und ethische Regeln einhalten. Gemeint sind Wahrung der Schweigepflicht, Neutralität, Allparteilichkeit, Loyalität im Umgang mit Patientinnen und Therapeutinnen (Morina et al., 2010) sowie Rollenklarheit. Sie sollten zudem ein Verständnis für psychiatrische/psychotherapeutische Arbeit mitbringen. Nicht zu unterschätzen ist die emotionale Belastung, die beispielweise durch Übersetzung traumatischer Inhalte entsteht, mit der Dolmetschende zurechtkommen müssen. Eine hinreichende emotionale Stabilität und professionelle Psychohygiene sind daher wichtige Voraussetzungen für die Arbeit.

3. Empfehlungen zur Qualitätssicherung bei dolmetschergestützten Therapiegesprächen
Der wichtigste Wirkfaktor bei der therapeutischen Arbeit ist die Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin. Bei der Arbeit mit Dolmetscherinnen im therapeutischen Setting wird die therapeutische Dyade durch die Dolmetscherin zu einer Triade ausgeweitet und damit auch jeweils eine zusätzliche Beziehung zur Dolmetscherin eingegangen. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, dass eine Dolmetscherin den gesamten diagnostischen und psychotherapeutischen Prozess begleitet, sofern die initiale Passung stimmt. Letztere sollte nach dem Erstkontakt von der Patientin erfragt werden, idealerweise in Abwesenheit der Dolmetscherin. Eine personelle Kontinuität in der therapeutischen Arbeit schafft Vertrauen und erleichtert der Patientin in der Praxis oft, sich zu öffnen, um sich auf den therapeutischen Prozess einlassen zu können.

3.1 Innere Haltung
Grundsätzlich ist eine respektvolle und wertschätzende Haltung bezüglich individueller Unterschiede in der Zusammenarbeit zwischen Dolmetscherin, Therapeutin und der Patientin wichtig. Darüber hinaus bilden hohe Transparenz, Klarheit über Regeln, Geduld und Offenheit auf allen Seiten die Basis für ein offenes und vertrauensvolles Miteinander.

3.2 Vor dem Gespräch
Der Kontakt zwischen Dolmetscherin und Patientin im Wartebereich sollte auf ein professionelles Mindestmaß reduziert sein. Bevorzugt wird, dass die Dolmetscherin vor dem Sitzungsbeginn getrennt von der Patientin wartet, sofern dies die räumlichen Gegebenheiten zulassen. Eine kurz gehaltene Begrüßung der Patientin durch die Dolmetscherin ist selbstverständlich möglich, wenn beide sich im Wartebereich sehen. Diese Vorgabe dient der Rollenklarheit und dem Schutz der Dolmetscherin vor Zusatzaufträgen durch die Patientinnen, dies sollte gegebenenfalls auch gegenüber diesen erläutert und als institutionelle Vorgabe begründet werden.

3.2.1 Dolmetscherinnenvorgespräch
Ein Vorgespräch zwischen Therapeutin und Dolmetscherin stellt eine wichtige Grundlage für eine gelingende Zusammenarbeit dar. Dadurch wird gewährleistet, dass die dolmetschende Person bereits im Raum ist, bevor die Patientin eintritt. Zudem verdeutlichen Therapeutin und Dolmetscherin damit ihr Selbstverständnis als Team gegenüber der Patientin.
In der Praxis hat es sich bewährt, sich für das erste Vorgespräch etwas mehr Zeit zu nehmen (ca. 10-15 min) und mit der Dolmetscherin über Erwartungen und Anforderungen an die Zusammenarbeit zu sprechen. Es wird eine Wort-für-Wort-Übersetzung angestrebt, die jedoch in der Praxis nicht uneingeschränkt umsetzbar ist. Manche sprachlichen Ausdrücke sind stark kulturell geprägt und müssen daher teilweise in ihrem Sinn übersetzt werden, um richtig eingeordnet und verstanden werden zu können. Insbesondere die Verwendung einer Metapher kann in unterschiedlichen Sprachen eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben, was bei einer Wort-für-Wort-Übersetzung zu Missverständnissen oder Verfälschungen des Sinngehalts führen kann. Sie sollten daher von Therapeutinnen eingeleitet und in ihrer Bedeutung erklärt werden. Verwenden Patientinnen Metaphern sollte deren Bedeutung von der Therapeutin niederschwellig erfragt werden .
Es ist darüber hinaus wichtig, über die Schweigepflicht aufzuklären. Unmittelbare Rückmeldungen zu Übersetzungsqualität und -technik sollten ebenfalls vereinbart und in das Nachgespräch integriert werden.
Die Vorgespräche bei weiteren Therapiesitzungen nach dem Ersttermin können kürzer ausfallen bzw. haben andere Schwerpunkte. Grundsätzlich sollte kurz über Ziele und Erwartungen an das Gespräch informiert werden. Wenn bestimmte therapeutische Interventionen geplant sind (z. B. Imaginationsübungen), sollten diese kurz erklärt werden, um Irritationen zu vermeiden und damit sich die Dolmetscherin darauf einstellen kann.

3.3 Während des Gesprächs
Im Erstgespräch sollte eine Vorstellungsrunde zum Abbau von Ängsten und Unsicherheiten sowie zur Rollenklärung erfolgen. Danach sollte die Patientin im Detail über den Dolmetscherinneneinsatz aufgeklärt werden, vor allem über die Schweigepflicht, die konsekutive Übersetzung in der Ich-Form und damit die Übersetzung von ausnahmslos allem, was während der Sitzung gesprochen wird.
Bei dieser Gelegenheit sollte auch geklärt werden, ob sich Patientin und Dolmetscherin bereits aus einem anderen Kontext kennen. Zwischen Dolmetscherin und Patientin sollte außerhalb der Sitzungen kein privater Kontakt bestehen. Sollte dies anders sein oder ist die Patientin bereits vor der ersten Sitzung der Dolmetschenden bekannt, muss dies von dieser gegenüber der Therapeutin angesprochen werden. Es soll offen besprochen werden, in wie fern dies die Zusammenarbeit beeinflusst und ob ein Dolmetscherinnenwechsel sinnvoll ist.
Gerade in kleinen sprachlichen, ethnischen, politischen oder religiösen Diaspora-Gemeinschaften ist es oft schwer, entsprechend „neutrale“ Übersetzerinnen zu finden. Mitunter ist die Möglichkeit zu prüfen, in einer Drittsprache zu sprechen oder mit technischen Übersetzungshilfen oder telefonischen Übersetzungsdiensten zu arbeiten.

3.3.1 Gesprächsgestaltung
Für die Gestaltung dolmetschergestützter Therapiegespräche geben Walter u. Adam (2003) sowie Morina et al. (2010) eine gute Orientierung. Insbesondere folgende Hinweise haben sich in der Praxis bewährt: Die Therapeutin hält mit der Patientin Blickkontakt und spricht sie direkt an. Die Gesprächseinheiten sollten auf beiden Seiten von Therapeutin und Patientin möglichst kurz gehalten werden (zwei bis vier Sätze). Durch ein jeweiliges kurzes Handzeichen, das im Vorfeld mit allen Beteiligten besprochen wurde, sollen längere Gesprächspassagen unterbrochen werden, um das bis dahin Gesagte zu übersetzen. Diese trägt maßgeblich zur Qualität der Übersetzung bei.
Seitens der Therapeutin soll auf eine leicht verständliche Ausdrucksweise geachtet werden. Komplizierte Nebensätze, Fachjargon und typisch deutschsprachige Redewendungen sollten vermieden werden, da diese oft missverstanden werden, oder nicht eins zu eins übersetzt werden können. Dolmetscherinnen sollen explizit darauf hingewiesen werden bei Unklarheiten um eine Umschreibung des Gesagten zu bitten. Sofern Fragen aufkommen oder auch Irritationen und Konflikte entstehen, sollen diese transparent gemacht werden, damit gemeinsam nach Lösungen gesucht werden kann. Metaphern sollten möglichst direkt übersetzt werden, da sie wesentliche kulturelle Zugänge erlauben. Damit dies gelingen kann, ist das Schaffen einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre für alle Beteiligten unerlässlich.

3.4 Rollenverständnis
Es gibt unterschiedliche Ansätze zum Rollenverständnis von Therapeutin und Dolmetscherin in der Therapie. Die Rollen sollten definiert sein und nach dem Erstgespräch reflektiert werden. Im Folgenden wird ein Ansatz vorgestellt, bei dem die Gestaltung der therapeutischen Arbeit ausschließlich bei der Therapeutin liegt und die Dolmetscherin inhaltlich keinen Einfluss auf die Sitzungsgestaltung nimmt. Andere Ansätze beziehen die Dolmetscherin bei entsprechender Vorbildung als Ko-Therapeutin oder teilnehmende Beobachterin ein. Diese werden hier nicht beschrieben, können aber unter besonderen Umständen zur Anwendung kommen.

3.4.1 Therapeutin
Während der therapeutischen Sitzung ist die Therapeutin für die Gesprächsführung zuständig und trägt die Verantwortung für den gesamten therapeutischen Prozess und die Einhaltung der zuvor besprochenen Gesprächsregeln.

3.4.2 Dolmetscherin
Dolmetscherinnen haben im Kontakt mit Patientinnen eine Sprachmittlerfunktion und tragen die Verantwortung dafür, dass alles Gesagte gedolmetscht wird. Auch Zwischenfragen, Unverständnis und Wiederholungen sollten explizit mit übersetzt werden, da sie diagnostisch wichtig sein können. Die Wiedergabe sollte in beide Richtungen in der ersten Person erfolgen (Abdallah-Steinkopff, 2000). Sofern es um hochbelastende Inhalte, wie traumatische Erfahrungen geht, kann die dolmetschende Person in die 3. Person wechseln, um sich selbst zu schützen (Orth, 2002). Dies geschieht oft automatisch und unbewusst und kann als Belastungshinweis gewertet werden. Die Dolmetscherin sollte keinen Einfluss auf den Gesprächsverlauf nehmen und keine Nebengespräche mit der Patientin führen. Sie sollte sich neutral und unparteiisch verhalten. Religiöse oder politische Einstellungen dürfen die Übersetzung nicht beeinflussen. Eigene Einschätzungen und Interpretationen sind während der Sitzung nicht erwünscht, sollten gegebenenfalls aber im Nachgespräch angesprochen werden. Damit nimmt die dolmetschende Person in dieser Hinsicht eine eher „passive“ Rolle hinsichtlich des Gesprächsverlaufes ein. Dies sollte als Arbeitshaltung verinnerlicht werden, um etwaigen Rollenkonflikten vorzubeugen.

3.4.3 Sitzordnung
Die Rollen von Dolmetscherin und Therapeutin können durch eine bestimmte Sitzordnung hervorgehoben werden (Haenel, 2001; Gondos, 1992), indem Therapeutin und Patientin sich gegenübersitzen, während die Dolmetscherin zwischen beiden sitzt, sodass ein gleichschenkliges Dreieck entsteht. Somit bilden Patientin und Therapeutin eine Hauptachse, wobei die dolmetschende Person ein Stück weit außerhalb dieser Achse positioniert ist, sich jedoch immer noch jeder Gesprächspartnerin gleich gut zuwenden kann. Keinesfalls sollen Dolmetscherinnen aus dem Blickfeld der Patientin bzw. Therapeutin verschwinden, indem sie hinter der Patientin oder Therapeutin sitzen (Morina et al., 2010; Abdallah-Steinkopff, 2000).

3.5 Nach dem Gespräch

3.5.1 Nachbesprechung
Die Nachbesprechung hat fallbezogen eine sozialisationsvermittelnde und reflexive Funktion. Zudem sollten auch Fragen von Rollenkonflikten oder der Eigenbelastung der dolmetschenden Person Raum haben. Sie gewährleistet außerdem, dass die dolmetschende Person erst nach der Patientin den Raum verlässt, was zum einen das Selbstverständnis von Therapeutin und Dolmetscherin als Team unterstreicht und zum anderen die Dolmetscherin davor bewahrt, sich gegenüber ggf. vorgebrachten Bitten der Patientin an den Dolmetscher, ihn bei weiteren Angelegenheiten zu unterstützen, abgrenzen zu müssen.
Im Nachgespräch können Schwierigkeiten sowie Eigentümlichkeiten in der Kommunikation und dem sprachlichen Ausdruck ausgetauscht werden. Es ist wichtig, im Sinne einer Verbesserung der Gesprächsgestaltung, dass sich Dolmetscherin und Therapeutin über Besonderheiten beim Gespräch austauschen. Zum Beispiel sind manche Sätze im Konjunktiv nicht ohne weiteres in jede Sprache übersetzbar und können damit fälschlicherweise als Unterstellungen oder Handlungsanweisungen verstanden werden (Kluge u. Kassim, 2006; Schepker u. Toker, 2009). Außerdem können soziokulturelle Hintergrundinformationen und Besonderheiten (wie beispielsweise Tabus) bei der dolmetschenden Person eingeholt werden. Die Angaben der Dolmetschenden können wichtige Anregungen geben, die gegebenenfalls im Folgegespräch mit der Patientin verifiziert oder falsifiziert werden können. Generell sollten Therapeutinnen auch innerhalb einer Sitzung subjektiv soziokulturelle Vorstellungen und Unsicherheiten offen ansprechen, um sich die subjektive Sicht der Patientinnen und ihrer Bezugspersonen schildern zu lassen. Die Einschätzung der Dolmetscherin sollte hier von massiven Missverständnissen ausgenommen erst im Nachgespräch erfolgen. Die potenzielle Belastung einer Dolmetscherin und die therapeutische Verantwortung, auch für ihre Psychohygiene, wird am Gesprächsanfang benannt. In der Regel wird dies von Patientinnen als Achtsamkeit gegenüber Belastungen wahrgenommen. Sollten sich Dolmetscherinnen durch Inhalte innerhalb der therapeutischen Zusammenarbeit belastet bzw. überfordert fühlen, sollte dies im Nachgespräch ebenfalls mitgeteilt werden. Die emotionale Belastung für Dolmetscherinnen in schwierigen Therapiesituationen sollte nicht unterschätzt werden (Jacobson & Vesti, 1990). Es ist die Aufgabe der Therapeutin die Dolmetscherin, danach zu fragen und die Rückmeldung über eine gegebenenfalls bestehende psychische Belastung als hochgradig professionelle und damit explizit gewünschte Art der Zusammenarbeit zu vermitteln. Es sollte dann gemeinsam nach Wegen gesucht werden, um die psychische Belastung der Dolmetscherin zu mindern und emotionale Regulationsstrategien zu vermitteln. Sollte dies im Einzelfall nicht ausreichend sein, sollte zum Schutz der Dolmetscherin ein Wechsel überlegt werden oder ggf. eine Vermittlung zu einem Unterstützungsangebot erfolgen.

4. Dolmetscherinnenschulungen und Supervision
Zum Zwecke der Qualitätssicherung sollten Schulungen für Dolmetscherinnen angeboten werden, in denen allgemeine Prinzipien des Dolmetschens in therapeutischen Kontext vermittelt und aktiv eingeübt werden. Schulungen sollten mit Fortbildungszertifikaten (i.S.v.: „Dolmetschen in Beratung und Psychotherapie“) honoriert werden. Die klinische Praxis zeigt, dass Dolmetschende teilweise mit hochbelastenden Krisensituation und Gesprächsinhalten im Rahmen ihrer Einsätze konfrontiert werden. Es sollten daher regelmäßige Supervisionen für Dolmetscherinnen angeboten werden, um einen geschützten Raum zu schaffen, in dem sich diese über die jeweiligen Prozesse und zum Thema Psychohygiene Unterstützung holen bzw. geben können.

Fazit für die Praxis
Wie auch in der klassischen Dyade zwischen Therapeutin und Patientin gilt auch in der Triade zwischen Therapeutin, Patientin und Dolmetscherin, dass Kommunikation und Beziehung untrennbar miteinander verknüpft sind. Hohe Transparenz, Klarheit über Regeln und Geduld auf allen Seiten sind die Basis für ein respektvolles, offenes und vertrauensvolles Miteinander und das Gelingen therapeutischer Arbeit. Dolmetscherinnen sind spezifisch für den Einsatz im therapeutischen Setting zu schulen und eine Kontinuität in der Zusammenarbeit ist herzustellen. Somit sollte eine Dolmetscherin idealerweise den gesamten diagnostischen und therapeutischen Prozess einer Patientin begleiten, um eine tragfähige und verlässliche Beziehungsgestaltung möglich zu machen. Für eine gute Zusammenarbeit zwischen Therapeutin und Dolmetscherin sind Vor- und Nachgespräche jeder Sitzung essenziell. Unter anderem durch ihre sozialisationsvermittelnde und reflexive Funktion tragen sie zur Qualitätssicherung entscheidend bei. Außerdem können sie die Entstehung psychischer Belastungssymptome bei der Dolmetscherin frühzeitig erkennen oder vorbeugen helfen, indem Belastungen, welche Beispielsweise vor dem Hintergrund eigener biografischer Erfahrungen mit Flucht und Migration während therapeutischer Sitzungen getriggert werden können, direkt kanalisiert werden. Darüber hinaus sollten jedoch auch regelmäßig Supervisionstermine angeboten werden. In der psychotherapeutischen Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen ist professionelle Dolmetschung eine notwendige Qualitätsleistung, der durch Bereitstellung zusätzlicher personeller und zeitlicher Ressourcen (Dolmetscherin, Therapeutin, Sekretariat etc.) Rechnung getragen werden muss.

S3-Leitlinie Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen | Lebende Leitlinie
Kurzfassung

Die COVID-19-Pandemie stellt für Schulen eine große Herausforderung dar. Trotz Unsicherheiten über die Wirkung von Maßnahmen müssen dort weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Um in dieser Situation wissenschaftlich fundierte und konsentierte Handlungsempfehlungen anbieten zu können, wurde von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) eine Kurzversion der S3-Leitlinie zu „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen“ veröffentlicht.

Erarbeitet wurde sie von einer repräsentativen Gruppe von Wissenschaftler*innen, am Schulgeschehen Beteiligten und Entscheidungsträger*innen aus Fachgesellschaften, Verbänden und Organisationen.

Die Empfehlungen
Entscheidend sind nicht die Einzelmaßnahmen, sondern die aufeinander abgestimmte Umsetzung in Maßnahmenpaketen. Ausgangspunkt ist ein Standard-Maßnahmenpaket, das sich an den allgemein in der Bevölkerung geltenden AHA+L Regeln orientiert und das konkret Abstand, Hygiene, das Tragen einer angemessenen Maske und Lüften vorsieht.
Die Empfehlungen umfassen neun Fragestellungen: Reduktion der Schüler*innenzahl im Präsenzunterricht, Tragen von Masken in Schulen, Infektionsschutz auf Schulwegen, Musik- und Sportunterricht, Umgang mit Verdachtsfällen und Quarantäne in den Klassen, Lüften in Schulen und Luftreinigung in Unterrichtsräumen. Schulschließungen wurde nicht behandelt.

Die Evidenz
Die Empfehlungen beruhen auf einer Gesamtschau der aktuell verfügbaren Studien zur Wirksamkeit der entsprechenden Maßnahmen. Allerdings sind dies zum größten Teil Modellierungsstudien, deren Ergebnisse nur eingeschränkt in den Schulalltag übertragbar sind. Neben dem Blick auf die gesundheitlichen Wirkungen von Maßnahmen wurden auch Kriterien zu Akzeptanz und gesundheitlicher Chancengleichheit, zu sozialen und ökologischen Folgen aber auch finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen und letztlich auch Machbarkeit berücksichtigt. Dieser umfassende Blick ermöglicht eine weitreichende Abwägung von Nutzen und Schaden aller Maßnahmen, Einschränkungen der Grundrechte wurden ebenfalls betrachtet.

Um sowohl die Wirksamkeit als auch unerwünschte Folgen der Maßnahmen zu erfassen muss die Umsetzung wissenschaftlich begleitet werden. Dies trägt nicht nur dazu bei, die Evidenzlage stetig zu verbessern, sondern ermöglicht auch Kurskorrekturen.

Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie während und nach der Pandemie

 

Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen müssen auch während der Restriktionen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Zugang zu Diagnostik, Therapie und psychosozialen Hilfen erhalten. Weiterhin müssen besonders gefährdete und benachteiligte Kinder und Jugendliche identifiziert werden, um die Entwicklung psychischer Störungen verhindern zu können.

Viele – jedoch nicht alle – Kinder und Jugendliche erleben die Veränderungen und Folgen der Pandemie emotional belastend. Es ist aktuell noch ungeklärt, inwieweit hieraus zusätzliche behandlungsbedürftige psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen entstehen. Erste Studien weisen darauf hin, dass insbesondere Kinder mit bestehenden psychischen Störungen und Kinder in schwierigen psychosozialen Situationen unter der Pandemie leiden.

Wohingegen kurzdauernde Lockdown-Maßnahmen sich nicht nachhaltig negativ auf die psychische Gesundheit auswirken, besteht infolge des nun bestehenden Erfordernisses für langandauernde Restriktionen eine besondere Gefährdung für Kinder und Jugendliche. Belastungsfaktoren können bestehen in der sozialen Isolation von Gleichaltrigen, der Reduktion von körperlicher Aktivität, oder in häuslichen Konflikten. Faktoren, die das generelle Risiko für das Auftreten einer psychischen Störung erhöhen sind Armut und Bildungsferne der Eltern, bestehende psychische Erkrankungen der Eltern, negative Kindheitserfahrungen wie Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch sowie schulische Überforderung und Mobbingerfahrungen. Letztere sind in der Pandemie insbesondere mit Blick auf Cybermobbing in den sozialen Medien zu beachten. Eingeschränkte Unterstützungsangebote für sozial schwächere Familien und beengte Wohnsituationen können zu anhaltenden Spannungen führen. Ist die Inanspruchnahme von Freizeit-, Betreuungs-, Beratungs- und anderen Unterstützungsmaßnahmen für derart vorbelastete Kinder und Jugendliche pandemiebedingt eingeschränkt, können sich psychische Störungen eher entwickeln oder weiter verschlechtern.

Die Bedingungen der Pandemiemaßnahmen erfordern somit für einzelne Risikogruppen besondere Unterstützung. Aktuell ist davon auszugehen, dass Familien Unterstützungsangebote nur verzögert in Anspruch nehmen. Rechtzeitige Diagnostik, ambulante, teilstationäre und stationäre Behandlungsangebote, der Einsatz von Telefon- und Videosprechstunden, Angebote der Kinder- und Jugendhilfe und begleitetes Homeschooling sind wichtige Elemente der Versorgung und haben für Bedürftige und ihre Familien auch während der Pandemie hohe Priorität.

Alle jungen Menschen können im Umgang mit dem Lockdown unterstützt werden: Feste Tagesstrukturen geben Orientierung. Regelmäßige Treffen mit den definierten Kontaktpersonen (soweit zulässig) sowie Onlinetreffen mit Freunden und Familienangehörigen helfen den Alltag neu zu strukturieren. Auf ausreichend Bewegung an der frischen Luft ist zu achten. Vielen Familien gelingt es, die Zeit mit Spielen, Backen, Basteln gemeinsam zu gestalten. Kinder und Jugendliche stellen Fragen zur Pandemie, zu Krankheit und Tod, ehrliche und transparente Antworten sind hier wichtig und verkraftbar.

Hinweise und Tipps, die Eltern und Kindern in Zeiten der Pandemie helfen können, finden Sie z.B. in Hilfreiche Tipps für Eltern zu Stressprävention in Zeiten des Corona-Virus, Beratung von Familien in Zeiten des pandemiebedingten Ausnahmezustands und unter Corona und Du, ein Infoportal darüber, wie man psychische Belastungen reduzieren kann.

Bedürftige Schüler*innen benötigen seitens der Schule oder Kommune eine entsprechende Hardwareausstattung. Insbesondere zur Aufrechterhaltung des Kinderschutzes ist Onlinekommunikation nötig, wenn persönliche Kontakte und aufsuchende Hilfen infolge der Restriktionen nur noch bedingt möglich sind.

Schon heute muss der Umgang mit der Situation in Zukunft in den Blick genommen werden. Nur so lassen sich mögliche Auswirkungen der Pandemie auf betroffene Kinder, Jugendliche und ihre Familien geringhalten. Häufig wird bei der Bewertung der präventiven Corona-Maßnahmen vergessen: Das Erleben von vielen Todesfällen erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine posttraumatische Belastungsstörung. Es bedarf einer Strategie, wie mit diesen und anderen verbundenen Pandemiefolgen umzugehen ist. Hierzu ist kinder- und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Kompetenz und wissenschaftliche Expertise nötig. Leistungen müssen aus unterschiedlichen Bereichen wie der Medizin, der Kinder- und Jugendhilfe, Suchtberatung und -behandlung und Frühen Hilfen erfolgen.

Die DGKJP setzt sich besonders für jene junge Menschen ein, die an ihren Entwicklungsaufgaben zu scheitern drohen, um ihre zukünftige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu stärken. Hierfür engagiert sich die DGKJP gegenüber der Politik und bringt sich durch Stellungnahmen und Beratung zu Fragen der Pandemie ein.

Kontakt
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Reinhardstraße 27B
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