Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) hat Frau PD Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Yulia Golub (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Forschungsbereich Stress und Substanzabhängigkeit im Jugendalter, Universitätsklinikum Dresden) und Herrn Prof. Dr. Julian Koenig (Köln) mit dem Hermann-Emminghaus-Preis ausgezeichnet. Frau PD Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Golub wurde für Ihre Arbeiten zum Thema „Trauma und Sucht: gemeinsame neurobiologische und klinische Trajektorien im Kindes- und Jugendalter“ und Herr Prof. Dr. Koenig für seine Arbeiten zum Thema „Vagale Aktivität und vagale Stimulation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ auf dem XXXVII. DGKJP Kongress, der vom 18. bis 21. Mai in Magdeburg stattfindet, ausgezeichnet.

Die DGKJP verleiht den Preis auf ihren Kongressen an Nachwuchswissenschaftler:innen, die grundlegende wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Diagnostik, der Prognose oder der Therapie psychischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter geleistet haben.

PD Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Yulia Golub ist geschäftsführende Oberärztin des Forschungsbereiches Stress und Substanzabhängigkeit im Jugendalter an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikums Dresden.

Prof. Dr. Julian Koenig hat an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an die Uniklinik Köln die Professur für Biologische Kinder- und Jugendpsychiatrie inne.

Stellungnahme der DGKJP zum „Gemeinsamen Bericht über die Auswirkungen der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten einschließlich der finanziellen Auswirkungen gemäß § 115d Absatz 4 SGBV“

Isabel Boege, Renate Schepker, Tobias Renner, Michael Kölch und Vorstand der DGKJP

Laut § 115 d SGB V wurden die Selbstverwaltungspartner Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und GKV-Spitzenverband (GKV) sowie der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) verpflichtet, dem Bundesgesundheitsministerium zum 31.12.2021 einen Bericht zu den Auswirkungen der Einführung der neuen Art der Krankenhausversorgung durch stationsäquivalente Behandlung (StäB) vorzulegen. Dieser Bericht wurde nun veröffentlicht.
Er enthält am Schluss eine positive Bewertung seitens der DKG und Kritik bzgl. „Übervergütung“ und „Unterversorgung“ seitens der GKV, sowie deren Forderung, StäB zugunsten einer intensiven PIA-Behandlung in allen Regelungen zu streichen. Sowohl Methodik als auch Schlussfolgerungen können aus Sicht der wissenschaftlichen Fachgesellschaft der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie nicht unwidersprochen bleiben. Ein Bericht mit eklatanten methodischen Mängeln und unbestätigten Vorannahmen – etwa hinsichtlich des Anteils an Pflegepersonal an den je Patient:in aufgewendeten Stunden im vollstationären Bereich – so wie fehlender Rezeption bisheriger Forschungsergebnisse sollte keine Handlungsgrundlage für die Politik werden.

Die Methodik und der Datenbezug des Berichts sind insuffizient
Die Analyse beruht auf Auswertungen des InEK über die Daten des Datenfiles nach § 21 KHEntgG sowie die abgerechneten PEPPs (QK80Z für die KJPP) bzw. hinterlegten OPS-Kodes. Bei der Anzahl der StäB-Krankenhäuser (S.6) wird in Kinder- und Erwachsenenpsychiatrie nicht differenziert, ebenso wenig bei der StäB-Landkarte (S.7) so dass eine Grundgesamtheit für unser Fachgebiet nicht korrekt auszumachen ist. Dieser Mangel zieht sich durch die Berichtslegung durch.
Wenn etwa der Anteil an StäB-Patienten mit dem Gesamtvolumen der großen Erwachsenenpsychiatrie abgeglichen wird (unfairerweise einschließlich der von den meisten Einrichtungen laut Diagnosestatistik ausgegrenzten Suchtpatienten, die immerhin rund 1/3 der stationären Belegung in Erwachsenenpsychiatrien ausmachen) belaufen sich die StäB Fälle auf 0,3% der Behandlungsfälle/Jahr. Verglichen mit allein einer uns bekannten Einrichtung der KJPP verzerrt das die Daten horrende – hier waren die StäB-Patienten 2018: 4,7%, 2019: 10,03%, und 2020 15,02% aller Fälle.
Auch das Berechnen der StäB Patienten auf die Gesamtheit aller Patienten würde sich durch „Herausrechnen“ kinder- und jugendpsychiatrischer Pioniereinrichtungen stark reduzieren: für den EP Bereich ist ein Verhältnis von 1:324 im Jahr 2020 beschrieben, in einer modellhaften KJPP beträgt es 1:5,64. Das wird im Bericht aus Datenschutzgründen nicht angegeben, obwohl das InEK den Selbstverwaltungspartnern auch (anonymisierte) Daten einzelner Einrichtungen zur Verfügung gestellt hat und die Spannbreite des „Ausrollens“ der StäB Behandlung in der Fläche nur daran gut aufgezeigt werden kann.
Des Weiteren enthält der Bericht keine Ergebnismaße, wie etwa Patientenzufriedenheitsbewertungen, Einschätzungen der Funktionsfähigkeit, Stabilität des Behandlunsgerfolgs über die Zeit oder der noch vorhandenen Symptomschwere bei Entlassung, sondern es werden ausschließlich Leistungen aus den Routinedaten betrachtet. Schlussfolgerungen, welche Patienten nun besonders vom StäB Angebot profitieren sind damit obsolet. Die 60 % Fälle, die eine weitere psychiatrische Krankenhausbehandlung erhalten haben werden weder nach institutsambulant, voll- oder teilstationär differenziert noch nach Erwachsenen oder Kindern und Jugendlichen – selbstverständlich sollte eine StäB-Behandlung ja kurz gehalten werden und eine ambulante Nachbehandlung, idealiter in personeller Kontinuität, zur Stabilisierung angeschlossen werden.
Innerhalb der erhobenen Daten ist ein Vergleich von StäB z.B. mit der vollstationären Behandlung nicht erfolgt – aufgrund der unterschiedlichen Struktur der jeweiligen OPS wäre ein solcher auch nicht hinsichtlich der Leistungen möglich gewesen, aber sehr wohl hinsichtlich der Diagnosen oder der Altersstruktur.
Die kursorisch geschilderten Mängel, die gegenüber der GKV durch den Medizinischen Dienst benannt werden seien, werden im Bericht weder mit Daten belegt noch werden KJPP und EP unterschieden -sie sind deswegen nicht verwertbar.

StäB eignet sich für alle Patient:innengruppen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Diagnoseverteilung entspricht dem üblichen stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Spektrum mit vielen F9-Diagnosen und depressiven Störungen, die sich in der Priorisierung der drei untersuchten Jahre abwechseln. Das wird später nicht diskutiert, sondern im Gegenteil seitens der GKV behauptet, StäB eigne sich „nur für eine sehr kleine Patientengruppe“ (S.38).
Die Schlussfolgerung der GKV, „Die meisten krankenhausbehandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten mit einer psychiatrischen Erkrankung profitieren stärker von einer vollstationären Versorgung“ (S.38) ist bereits methodisch nicht zulässig, da nicht mit Daten begründet (s.o.). Die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erhobenen und publizierten Ergebnisse (auf Wunsch gerne von der DGKJP-Geschäftsstelle zur Verfügung gestellt) belegten eine Gleichwertigkeit der Behandlungsergebnisse und der Symptombelastung mittels Health of the Nation Outcome Scale for Children and Adolescents (HONOSCA), Children global assessment Scale (CGAS), welcher der Achse 6 der MAS in der KJPP entspricht und somit ein relevantes Maß für die psychosoziale Funktionsfähigkeit darstellt, das sich bei allen Patienten deutlich analog einer stationären Behandlung verbesserte und eine Gleichwertigkeit hinsichtlich der Patientenzufriedenheit, welcher auf Elternseite eher noch zugunsten von StäB ausfiel. Die erhaltene Therapie wurde im Vergleich zur vollstationären Behandlung von den Patienten und Eltern als intensiver und zielführender gewertet, da immer ein sehr individuelles Eingehen auf die Patient:innen unter Einbezug des Elternhauses und der Schule stattfindet. Für Familien mit Kindern ist das ein zentrales Behandlungselement. Eltern benannten zu fast 75,6%, dass sie einen eigenen Kompetenzgewinn zu verzeichnen hatten, und somit mit Problematiken zu Hause besser umgehen konnten, die Patient:innen erreichen gut 83,3%. Stationäre Patienten zeigten vergleichbare Werte (73,3%), Eltern von stationären Patienten benannten hingegen nur einen Kompetenzgewinn von 25,7%, was langfristi.g deutlich weniger Stabilität bedeutete und zu Wiederaufnahmen führte.

StäB arbeitet sehr wohl multiprofessionell und mit hohem Aufwand
Aufgezählt und immerhin breit dargestellt wird, dass in der KJPP mit durchgängig mehr Psychologen und Spezialtherapeuten gearbeitet wird. In 55 % (2018) bzw. 75 % (2020) der Fälle waren regelhaft 4 Berufsgruppen in die Behandlung einbezogen. Die Kritik der mangelnden Multiprofessionalität trifft somit die KJPP nicht – in der Erwachsenenpsychiatrie liegen die Anteile des Einbezugs von 4 Berufsgruppen deutlich geringer mit 24-51%. Auch hier wurde nach den vorgelegten Zahlen der Beweis erbracht, dass in der KJPP StäB der vollstationären Behandlung ebenbürtig ist.
Ebenfalls zu wenig gewürdigt wird, dass die KJPP-StäB-Teams hohe Minutenzeiten in den Familien verbracht haben gegenüber vergleichsweise den erwachsenenpsychiatrischen Teams (EP) und dass hier eine gegenläufige Entwicklung zu verzeichnen ist. 2018 zählte die KJPP 2269min vs. EP 1462min, 2019 KJPP 1981min vs. EP: 1824min; 2020 KJPP 2371min vs. EP 2045min. Die StäB-Teams der KJPP bewerten den Abfall der Minutenwerte innerhalb der Familien (2018 87min, 2019 72min, 2020 62min) als einen Ausdruck der Professionalisierung (es hat eine Verschiebung in die Außenkontakte, wie Schulen, von den Familien aus stattgefunden im Sinne der Bedarfe der Kinder). Auch das wird nicht diskutiert. Die Verteilung der geleisteten Minuten zwischen dem Pflege- und Erziehungsdienst (PED) (ca 44-59%) und dem Ärztlichen Dienst (ca 30%) entspricht in der KJPP den auch in der PPP-Richtlinie festgelegten Verhältnis zwischen den Berufsgruppen, sogar mit einem damit verglichen eher hohen Arzt-Minutenanteil, anders als die GKV im Schlussstatement glauben macht.
Die Schlussfolgerung der GKV „Damit bleibt die Versorgung im Rahmen einer StäB, insbesondere hinsichtlich der Intensität sowie der Multiprofessionalität, weit hinter einer vollstationären Behandlung zurück“ (S. 38) ist ebenfalls nicht belegt. Hier hätte ein Vergleich mit vollstationärer 1:1-Betreuung durch den Pflege- und Erziehungsdienst erfolgen müssen, der bekanntlich basierend auf Realkostenkalkulationen des InEK im vollstationären Rahmen bereits ab einer Stunde täglich in der KJPP ein „erhöhendes Tagesentgelt“ generiert. Auch wären für einen Vergleich von erfolgten Einzeltherapiestunden Daten für die Berufsgruppen der Ärzt:innen, Psycholog:innen und Spezialtherapeut:innen aus den OPS generierbar gewesen.
Die implizit vorgetragene Abwertung der Tätigkeiten des Pflege- und Erziehungsdienstes: „Zugleich zeigen die Daten aber auch, dass der Hauptanteil der Leistungen durch Pflegefachpersonen erbracht wurde, auf diese Berufsgruppe entfallen über die Hälfte aller OPS-Kodes“ (S. 38), ist fachlich nicht haltbar. Zunächst kann bereits für den vollstationären Bereich aus den Minutenwerten der PPP-RL je Patient abgeleitet werden, dass die PED-Minutenwerte die der anderen Berufsgruppen um ein Vielfaches überschreiten (in der Kategorie KJ1 i.V. zu Ärzt:innen 7,5:1; i.V. zu Psychotherapeut:innen 10:1, i.V. zu Fachtherapeut:innen und Sozialarbeiter:innen 4,7:1). Auch inhaltlich ist das sinnvoll – der PED ist essentiell in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen, in der es sehr viel um Pädagogik/Alltagstransfer von Therapie und auch um Elternberatung/training geht.

StäB ist in der KJPP unter- und nicht überfinanziert
Bezüglich der Wirtschaftlichkeit ist nicht von einer „Übervergütung“ sondern vielmehr hinsichtlich der KJPP von einer Unterbezahlung auszugehen. In den erhobenen Minutenwerten spiegeln sich nicht die nötige Netzwerkarbeit wieder, die parallel von der Klinik aus erfolgt, Fortbildungs- und Dokumentationszeit des Teams, Aufwände für die Organisation oder Ausfallzeiten. Bei einer nur auf den Patientenaufwand bezogenen Berechnung muss die Fahrzeit mit einbezogen werden, die Multiprofessionelle Fallbesprechung, nötige strukturelle Organisationszeiten (wer fährt wann wohin?) sowie Übergabezeiten (Kommunikation zum Übereinanderlegen der jeweiligen Therapieeinheiten ist essentiell für den Erfolg von StäB), so dass – auch wenn es nur 62min vor Ort sind – leicht das doppelte bis dreifache an aufgewendeter Zeit resultiert. Somit muss pro Patient ein deutlich größeres Zeitvolumen angesetzt werden, was eine entsprechende Personaldecke voraussetzt. Da in StäB eher erfahrenere Kräfte mit Zusatzweiterbildung arbeiten, deren Gehälter höher sind als der Klinikdurchschnitt, damit das hochqualitative Angebot geleistet werden kann, muss sich dies in der Vergütung abbilden. Dadurch, dass in der KJPP jedes Krankheitsbild in jeglicher Schwere behandelt werden kann, ist ein Wirtschaftlichkeitsgebot im Vergleich zu einer stationären Behandlung für das gleiche Störungsbild mit ca 350-500€ versus aktuell durchschnittlich 245€ in StäB (im Bericht angegebene Erlöse 2018: 189,68€, 2019: 245,14€, 2020: 251,25€) auf jeden Fall gegeben – derzeit sind kinder- und jugendpsychiatrische Leistungen in StäB stark unterfinanziert.
Der Medizinische Dienst hat laut GKV 553 StäB-Fälle im Zeitraum vom 4. Quartal 2019 bis 1. Quartal 2021 begutachtet und ausgewertet. „Das wohl eindringlichste Ergebnis dieser Auswertung war, dass 20 % der begutachteten Fälle keine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit aufwiesen […].Die Analyse zeigte zudem, dass weitere wichtige Qualitätsanforderungen wie beispielsweise die vorgeschriebenen täglichen direkten Patientenkontakte oder die wöchentlichen ärztlichen Visiten nicht immer realisiert wurden“ (S. 39). Aus Sicht der Kinder- und Jugendpsychiatrie dürfte es sich hier nur um wenige Einzelfälle handeln. Eine bestätigte primäre Fehlbelegung aus unserem Fach ist uns nicht bekannt – allenfalls erfolgten bei überlastetem Familiensystem doch einzelne vollstationäre Aufnahmen. Tägliche Patientenkontakte sind als Essenz der StäB Behandlung selbstverständlich einzuhalten, strittig war z.B. lediglich die – für 2022 durch einen Zusatz im OPS geheilte – Frage, ob ein Elterngespräch mit nur kurzer Begrüßung des Kindes auch als „Patientenkontakt“ gelte.

In StäB fehlt bisher die Erweiterung auf andere ambulante Leistungserbringer
Eine lapidare Nebenbemerkung der GKV: „Ergänzend weisen auch Leistungserbringer […] selbst auf eine unzureichende Einbindung ambulanter Leistungserbringer zur Herstellung der gewünschten Behandlungskontinuität […]hin“ verdeckt, dass der Bericht der Selbstverwaltung den klaren Auftrag aus der Gesetzesbegründung nicht erfüllt hat, der sogar noch weiter ging: „Aufgrund dieses Berichts kann die Entscheidung getroffen werden, ob und in welcher Form z. B. Netzwerke ambulanter Leistungserbringer die StäB selbstständig, das heißt nicht nur im Wege der Beauftragung, durchführen können“ (BT-Drucksache 18/9528, S. 49). Die Selbstverwaltung hätte hier einräumen müssen, dass sie selbst zur Unmöglichkeit der Übernahme von StäB-Leistungen durch andere ambulante Leistungserbringer, wie etwa sozialpsychiatrische Praxen beigetragen hat, indem sie nämlich in der Rahmenvereinbarung den möglichen Umfang auf 50% der Leistungen je Fall begrenzt hat.

StäB hat sich als familienfreundliche Behandlungsart bewährt
Somit ist es insgesamt keineswegs zutreffend, dass StäB in der KJPP „den gesetzlich vorgegebenen Anspruch der Krankenhausbehandlung im häuslichen Umfeld [verfehlt]“ (S. 38). Es sei darauf verwiesen dass in der politischen Diskussion StäB insbesondere als familienfreundliche und familiennahe Behandlungsform beschlossen wurde; auch vor dem Hintergrund, Einsparungen bei der besonders aufwändigen Kinder- und Jugendpsychiatrie vornehmen zu können (Stichwort: Aufbau (von StäB) statt Ausbau (von Betten)). Schlussfolgerungen, welche die StäB-Einheiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit denen der Erwachsenenpsychiatrie über einen Kamm scheren, undifferenziert sind und welche existierende Forschungsergebnisse nicht in den Blick nehmen, können nur als unseriös und eines Evaluationsberichts nicht würdig bezeichnet werden. Auf die wirklich existierende Problematik der Unmöglichkeit, dass in den großen Versorgungsgebieten der KJPP ohne Einbezug anderer ambulanter Leistungserbringer viele Familien nicht erreicht werden können, geht der Bericht entgegen den Erwartungen des Gesetzgebers nicht ein.

Weiterführende Literatur entnehmen Sie bitte dem PDF.

Suizidgedanken sind bei Jugendlichen quasi „normal“ und weit verbreitet (je nach Studie bis 60 %). Junge Leute, die entwicklungsbedingt eine „kurze Zündschnur“ haben und bei denen sich Handlungsimpulse schneller durchsetzen als im Erwachsenenalter, sind gefährdet, Gedanken auch in Handlungen umzusetzen. Daher sind vollendete Suizide bei Jugendlichen nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache.


Es gibt wenige Hinweise darauf dass zumindest Gedanken an Suizid unter Bedingungen der Corona-Lockdown- und Kontaktbeschränkungen bei Jugendlichen zugenommen haben und dass unsere kinder- und jugendpsychiatrischen Hilfesysteme verstärkt mit solchen Krisen zu tun haben.
Im Jahr 2020 haben sich in Deutschland 155 Jugendliche (15 bis unter 20 Jahre) durch Suizid das Leben genommen, bei den Kindern (10 bis unter 15 Jahre) waren es 25!

 
Wir treten als Vorstand der DGKJP der laufenden Petition der Gruppe an Forschenden und Versorgenden aus Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie um Frau Dr. Ute Lewitzka und Frau Prof. Katja Becker zur Förderung einer Suizidprävention bei. Die Forderungen nach einer bundesweiten Koordinationsstelle und einer bundeseinheitlichen kostenlosen Hilfe- Rufnummer und Webseite sind sinnvoll und wir unterstützen diese Forderungen aktiv.

Der Vorstand der DGKJP

Vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine unterstützt der DGKJP-Vorstand die ESCAP-Stellungnahme War hits children first“. Denn Kriege haben Folgen, insbesondere für Kinder und Familien. Die Traumata können zu Angst und Depression bei Geflüchteten führen.

Appell der kinder- und jugendpsychiatrischen und kinder- und jugendmedizinischen Fachgesellschaften und Verbände in Deutschland

Die Kinder- und Jugendpsychiater:innen und –psychotherapeut:innen und die Kinder- und Jugendärzt:innen in Deutschland warnen vor den möglichen Risiken einer Cannabislegalisierung und appellieren, etwaige Legalisierungsbestrebungen nicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen auszutragen. Alle Vorsätze, die Legalisierung mit einem bestmöglichen Jugendschutz zu verbinden, haben sich in vielen Legalisierungsländern als Illusion erwiesen. Bereits die gesellschaftliche Debatte um eine Abgaberegulierung von Cannabisprodukten hat ungünstige Effekte auf das Konsumverhalten junger Menschen. Suchtprävention hat in der Vergangenheit erwünschte Effekte gezeigt, wenn sie auf eine strikte Angebotsreduzierung zielt. Den Markt suchterzeugender Substanzen zu erweitern und auf eine schadensbegrenzende Beeinflussung von Gefährdeten und Konsumierenden durch Verhaltensprävention zu setzen hat sich demgegenüber als kaum wirksam herausgestellt.

Studien aus den USA belegen, dass die Legalisierung von Cannabis auch dann, wenn dies nur für erwachsene Personen vorgesehen ist, doch auch für Jugendliche mit starken Zuwächsen beim Cannabismissbrauch sowie der Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit einhergehen [1]. Infolge der Legalisierung hat die Risikowahrnehmung in Bezug auf die gesundheitlichen Gefahren des Cannabiskonsums insbesondere bei den Minderjährigen abgenommen, trotz aller Beschränkungen des legalen Erwerbs auf Erwachsene [2]. In manchen US-Bundesstaaten mit einer Legalisierung liegen die Konsumquoten in der Bevölkerung um 20 bis 40 Prozent höher als im US-Bundesdurchschnitt [1,3]. Cannabisprodukte, die von Erwachsenen legal erworben werden, werden trotz Verbots an Jugendliche durchgereicht [4,5].

Die Folgen für die medizinische Versorgung von Cannabiskonsumierenden sind alarmierend. In Colorado (USA) hat sich seit der Legalisierung des Cannabisbesitzes die Rate der cannabisbedingten Vergiftungsfälle und cannabisbezogenen Krankenhausaufnahmen mehr als verdoppelt [6,7,8,9]. Bei den cannabisbezogenen Notrufen in Vergiftungszentralen werden die größten Zuwächse in den Altersgruppen 0 bis 8 Jahre und 9 bis 17 Jahre verzeichnet [6,10,11]. Der Anteil der Suizide mit Cannabisbeteiligung ist in Colorado seit der Legalisierung auf das Doppelte angestiegen. Bei den 10- bis 17-Jährigen liegt der Anteil der Suizide mit Cannabisbeteiligung mit 51 Prozent am höchsten [12]. Die Zahl tödlicher Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss ist in Colorado nach der Legalisierung ebenfalls auf das Doppelte angestiegen [6,12,13,14].

Zudem zeigt die Legalisierung in den USA und Kanada, dass die angestrebte Austrocknung des Schwarzmarktes nur bedingt gelingt und sich Konsumierende die Cannabisprodukte zu einem nicht geringen Anteil auch weiterhin über illegale Quellen beschaffen. Insbesondere jüngere Konsumentengruppen nutzen die günstigeren Schwarzmarktprodukte bevorzugt. Neben dem fortbestehenden Schwarzmarkt erweisen sich Probleme in der Marktregulierung, Schmuggel und Steuerbetrug bisher als unlösbar [12,15,16].

Die Legalisierung verharmlost auch die gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums auf die altersgerechte physische und psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Auftrag gegebene CaPRiS-Studie (Cannabis: Potential und Risiken) zeigt, dass das Abhängigkeitspotenzial für Jugendliche besonders hoch ist [17]. Etwa 9 Prozent aller CannabiskonsumentInnen entwickeln über die Lebenszeit eine Cannabisabhängigkeit. Diese Rate beträgt 17 Prozent, wenn der Cannabiskonsum in der Adoleszenz beginnt bzw. 25 bis 50 Prozent, wenn Cannabinoide in der Adoleszenz täglich konsumiert werden [18].

Die Befunde zu den ungünstigen Einwirkungen auf die Hirnreifung junger Menschen mehren sich seit einer Dekade [19,20]. Cannabiskonsum in Pubertät und Adoleszenz führen zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn mit der Folge von Einbußen in Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen sowie Minderungen der Aufmerksamkeit, Denkleistung und Intelligenz [21,22,23,24]. Da die Hirnreifung bis über die Mitte der dritten Lebensdekade hinausreicht, sind Abgaberegulierungen mit Altersbegrenzungen bei 21 oder gar 18 Jahren aus entwicklungsneurobiologischer Sicht nicht plausibel.

Weiterhin ist der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychischen Störungen gut belegt. Bei vulnerablen Personen besteht ein dosisabhängiger Zusammenhang mit depressiven Störungen, Suizidalität, bipolaren Störungen, Angsterkrankungen sowie zusätzlichem Missbrauch von Alkohol und anderen illegalen Drogen [25]. Cannabiskonsum kann bei ansonsten unauffälligen Menschen mit einer bestimmten genetischen Disposition Psychosen auslösen und den Verlauf schizophrener Psychosen deutlich verschlechtern [26]. Bei Cannabiskonsum in der Schwangerschaft werden Frühgeburten und Entwicklungsstörungen des Kindes beobachtet [27].

Intensiv Cannabis konsumierende Kinder und Jugendliche brechen häufiger die Schule ab und weisen ungünstigere Bildungsabschlüsse als ihre nichtkonsumierenden Altersgenossen auf [28].

Die Programmatik der deutschen Cannabispolitik hat sich mit Blick auf Konsumquoten und Hilfestellungen für Suchtkranke in der Vergangenheit bewährt. Sie fußt auf vier Säulen: Prävention, Hilfen, Schadensminimierung und Angebotsreduzierung (BtMG) [29]. In der deutschen Bevölkerung liegen nach Daten der EBDD die Quoten täglichen oder fast täglichen Cannabisgebrauchs im europäischen Vergleich niedrig (mit 0,4% für die Gesamtbevölkerung auf dem 5. Rang von 14 Ländern insgesamt, europäischer Durchschnitt 0,7%) [30]. Auch hat die Zahl regelmäßig konsumierender Jugendlicher nach Analysen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in den vergangenen 30 Jahren nicht bedeutsam zugenommen [31]. Hinsichtlich der Inanspruchnahme therapeutischer Hilfen lässt sich feststellen, dass kaum irgendwo anders in Europa vergleichbar viele Cannabisabhängige in eine Suchtbehandlung vermittelt werden wie in Deutschland [30].

Diese erfolgreiche Programmatik inklusive ihrer strikten Angebotsreduzierung sollte fortgesetzt und nicht etwa durch ungünstige Folgen einer Legalisierung beeinträchtigt werden wie sie aus den USA und Kanada in der wissenschaftlichen Literatur berichtet werden. Aufklärung über Gesundheitsgefahren, Resilienzförderung im Kindes- und Jugendalter, Jugendschutzgesetzgebung und Therapieforschung müssen zukünftig gestärkt werden, um das Risikobewusstsein junger Menschen zu schärfen, ihre Widerstandskraft gegen verfrühten Substanzkonsum zu erhöhen und die noch allzu schwachen Interventionserfolge weiter zu verbessern.

Berlin/Mainz/Schleswig, 16.12.2021

Eine Katastrophe für die Prävention seelischer Not nach frühen Kindheitsbelastungen und eine Ohrfeige für Betroffene

Stellungnahme des Kompetenzbereichs Prävention Psychische Gesundheit im Kompetenznetzwerk Präventivmedizin Baden-Württemberg, erarbeitet im Namen des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) und dem Kinderschutzbund Bundesverband e.V.

Mit Fassungslosigkeit haben wir davon erfahren, dass das Bundeskriminalamt (BKA) es offenbar unterlässt, Bildmaterial von Kindesmissbrauch systematisch aus dem Internet löschen zu lassen.

Nach Recherchen des Journalisten Daniel Moßbrucker sind in den Foren im sogenannten Darknet, in denen sich Pädosexuelle treffen und Material von Kindesmissbrauch suchen und austauschen, lediglich die Links zu dem Material zu finden. Das eigentliche Bild- und Videomaterial liegt aus Kapazitätsgründen im frei zugänglichen Teil des Internet. Gemeinsam mit NDR und Spiegel konnte Herr Moßbrucker eindrücklich nachweisen, mit wie wenig Aufwand die Löschung dieses Materials erreicht werden kann. Genau dieser für die Prävention zentrale Schritt wird durch das BKA jedoch offenbar, vor dem Hintergrund einer falschen Güterabwägung, nicht veranlasst. Der Leiter der zuständigen Ermittlungsgruppe beteuert, dass die Löschung aus Kapazitätsbeschränkungen nicht möglich sei und gelöschte Inhalte jederzeit kopiert und erneut hochgeladen werden könnten. Dem ist entschieden zu widersprechen. Jeder im Netz gelöschte Inhalt von Kindesmissbrauch ist wichtig für die Kriminalprävention und für die Prävention seelischer Belastungen bei den Betroffenen. Die Recherche von Herrn Moßbrucker weist zudem darauf hin, dass das technisch realisierbare Löschen von Inhalten sowohl bei den Pädokriminellen als auch Plattformbetreibern zu Verunsicherungen führt und einen Störfaktor darstellen könnte, der langfristig die Existenz solcher Plattformen bedrohen könnte.

In der Arbeit am Kompetenzzentrum Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg und in unserer bundesweiten, rund um die Uhr erreichbaren Medizinischen Kinderschutzhotline, sind wir täglich mit dem Leid der Betroffenen und den unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen sexuellen Missbrauchs konfrontiert. Die mittelbaren gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Folgen sind darüber hinaus enorm, wie wir mit der Deutschen Traumafolgekostenstudie1 zeigen konnten. Die Kosten für eine notwendige zusätzliche Ermittlungsarbeit, die hier vom BKA ins Feld geführt werden, dürften, verglichen mit den gesamtgesellschaftlichen Folgekosten, völlig vernachlässigbar sein. Ein solches „Sparen am falschen Ort“ trägt zu weiterer Gefährdung bei und stellt die Glaubwürdigkeit des ganzen Systems infrage. Denn immer wieder werden etwa, wie bei den jüngsten gesetzgeberischen Aktivitäten, Strafverschärfungen mit angeblich verbessertem Kinderschutz begründet. Gerade wenn berechtigter Weise die Intensität der Strafverfolgung in diesem Bereich gesteigert wurde und weiter gesteigert werden muss, sollten die Behörden auch alles tun, um das entsprechende Material aus dem Netz zu entfernen. Für strafprozessuale Vorgänge kann es ja separat asserviert werden.

Das hier vom BKA gewählte Vorgehen entspräche etwa der Praxis, Drogendealer zwar dingfest zu machen, das Rauschgift aber nicht zu beschlagnahmen und zum weiteren Verkauf auf dem Markt zu belassen. Dieser Vergleich mag hinken, doch er unterstreicht den Charakter organisierter Kriminalität, den der Vertrieb von Bildmaterial von Kindesmissbrauch hat. Solche Kriminalität gilt es auf jeder Ebene zu bekämpfen. 

Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht wurden, haben häufig lebenslang mit den psychischen, sozialen und körperlichen Folgen zu kämpfen. Dass Bilder ihrer schrecklichen Erlebnisse weiter im Internet abrufbar sind, ist extrem belastend und erschwert die Bewältigung des Erlebten. Manche Betroffenen sprechen von erneutem Missbrauch, sobald jemand das Bildmaterial ihres Missbrauchs ansieht. Aus Tätervernehmungen ist zudem bekannt, dass Bild- und Videomaterial von Kindesmissbrauch eine anstiftende Wirkung hat. Somit könnten durch systematisches Löschen möglicherweise im Sinne der polizeilichen Kriminalprävention neue Straftaten verhindert werden. 

Dass die Behörden in Deutschland zu wenig unternehmen, um das Bildmaterial von Kindemissbrauch löschen zu lassen, ist daher untragbar. Wir fordern das Bundeskriminalamt und vor allem die neue Hausspitze des Bundesinnenministeriums als Aufsichtsbehörde nachdrücklich auf, das Löschen von Bildmaterial von sexuellem Kindesmissbrauch systematisch durchzuführen.

Mit Entsetzen hat der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) erfahren, dass die Helios St.Josefs-Hospital GmbH Bochum, plant die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bochum-Linden zu schließen.

Hier zeigt sich die hässliche Seite der Krankenhausprivatisierung, wenn ein offenbar auf Rendite ausgerichteter privater Krankenhaus-Konzern die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen an einem nun „unökonomischen“ Einzelstandort für nicht mehr sinnvoll hält und einen Versorgungsauftrag zurückgeben möchte. Bisher ist die Klinik pflichtversorgend für Notfälle wie schwer magersüchtige, suizidale oder akut psychisch dekompensierte Kinder und Jugendliche und eine bedeutsame, nicht einfach zu ersetzende Anlaufstelle für die Region rund um die Uhr. Sie liegt in einer Region mit nicht gerade wenigen Kindern aus benachteiligten Verhältnissen.

Nachdem bisher über viele Jahre, bevor gewisse Mindestanforderungen an Personalausstattung gegolten haben, es für private Krankenhausträger sehr attraktiv war, psychiatrische Kliniken zu übernehmen und zu betreiben, kehrt sich nun offenbar das Bild um. Kinder- und Jugendpsychiatrien können nicht mehr, weil sie entsprechend ausreichend Personal vorhalten sollen und damit auch entsprechende Lohnkosten refinanzieren müssen, als attraktiv gelten. Dies ist hochgradig skandalös, zeigt es doch, dass ein gesellschaftlicher Auftrag der Versorgung von schwerst erkrankten Kindern und Jugendlichen offenbar keinerlei Stellenwert in solch trägerseitigen Überlegungen hat. Es lässt fragen, ob die Daseinsfürsorge für diese vulnerable Gruppe wirklich privaten Krankenhausträgern überlassen werden kann. 

Die DGKJP setzt sich mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass die Versorgung für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche bundesweit auf einem hohen Niveau gesichert wird – die Corona-Pandemie hat hier den Bedarf sichtbarer gemacht und neue Aufgaben gestellt. Wir haben uns im BMG-Dialog „Weiterentwicklung der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen“ federführend dafür eingesetzt, neue Versorgungsmodelle zu entwickeln und die Versorgung auch unter erschwerten Bedingungen, wie dem Fachkräftemangel etc., weiter zu entwickeln. Umso mehr erscheint das Vorgehen in Bochum eine Kluft aufzutun, zwischen dem was inhaltlich-fachlich geboten ist, und dem, was Krankenhausträger offenbar in das Zentrum ihres Handelns stellen. Hier zeigt sich, wie die Ökonomisierung der Medizin auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird. Es ist eine gesellschaftliche Frage, ob dies in Zukunft akzeptiert werden wird oder ob die Daseinsfürsorge gesamtgesellschaftlich den entsprechenden Stellenwert bekommt. 

Es ist wohlfeil, sich über psychische Probleme auf Grund der Covid-19 Pandemie allenthalben in der Presse zu verlautbaren, es ist zynisch, wenn die Versorgung für die schwerst erkrankten Kinder und Jugendlichen dann heruntergefahren wird. Die DGKJP wird, da sie diesen Vorgang auch als einen Präzedenzfall sieht, wie mit der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen umgegangen wird, dies auf allen Ebenen der Politik, der Krankenhausträger und der Kostenträger zum Thema machen. Neben der sehr persönlichen Betroffenheit der Mitarbeiter*innen der Klinik sehen wir darin auch einen möglichen Dammbruch für die teil- und vollstationäre Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Berlin, 25.11.2021

Mit Entsetzen hat der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) erfahren, dass die Helios St.Josefs-Hospital GmbH Bochum, plant die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bochum-Linden zu schließen.

Hier zeigt sich die hässliche Seite der Krankenhausprivatisierung, wenn ein offenbar auf Rendite ausgerichteter privater Krankenhaus-Konzern die Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen an einem nun „unökonomischen“ Einzelstandort für nicht mehr sinnvoll hält und einen Versorgungsauftrag zurückgeben möchte. Bisher ist die Klinik pflichtversorgend für Notfälle wie schwer magersüchtige, suizidale oder akut psychisch dekompensierte Kinder und Jugendliche und eine bedeutsame, nicht einfach zu ersetzende Anlaufstelle für die Region rund um die Uhr. Sie liegt in einer Region mit nicht gerade wenigen Kindern aus benachteiligten Verhältnissen.

Nachdem bisher über viele Jahre, bevor gewisse Mindestanforderungen an Personalausstattung gegolten haben, es für private Krankenhausträger sehr attraktiv war, psychiatrische Kliniken zu übernehmen und zu betreiben, kehrt sich nun offenbar das Bild um. Kinder- und Jugendpsychiatrien können nicht mehr, weil sie entsprechend ausreichend Personal vorhalten sollen und damit auch entsprechende Lohnkosten refinanzieren müssen, als attraktiv gelten. Dies ist hochgradig skandalös, zeigt es doch, dass ein gesellschaftlicher Auftrag der Versorgung von schwerst erkrankten Kindern und Jugendlichen offenbar keinerlei Stellenwert in solch trägerseitigen Überlegungen hat. Es lässt fragen, ob die Daseinsfürsorge für diese vulnerable Gruppe wirklich privaten Krankenhausträgern überlassen werden kann. 

Die DGKJP setzt sich mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass die Versorgung für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche bundesweit auf einem hohen Niveau gesichert wird – die Corona-Pandemie hat hier den Bedarf sichtbarer gemacht und neue Aufgaben gestellt. Wir haben uns im BMG-Dialog „Weiterentwicklung der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen“ federführend dafür eingesetzt, neue Versorgungsmodelle zu entwickeln und die Versorgung auch unter erschwerten Bedingungen, wie dem Fachkräftemangel etc., weiter zu entwickeln. Umso mehr erscheint das Vorgehen in Bochum eine Kluft aufzutun, zwischen dem was inhaltlich-fachlich geboten ist, und dem, was Krankenhausträger offenbar in das Zentrum ihres Handelns stellen. Hier zeigt sich, wie die Ökonomisierung der Medizin auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird. Es ist eine gesellschaftliche Frage, ob dies in Zukunft akzeptiert werden wird oder ob die Daseinsfürsorge gesamtgesellschaftlich den entsprechenden Stellenwert bekommt. 

Es ist wohlfeil, sich über psychische Probleme auf Grund der Covid-19 Pandemie allenthalben in der Presse zu verlautbaren, es ist zynisch, wenn die Versorgung für die schwerst erkrankten Kinder und Jugendlichen dann heruntergefahren wird. Die DGKJP wird, da sie diesen Vorgang auch als einen Präzedenzfall sieht, wie mit der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen umgegangen wird, dies auf allen Ebenen der Politik, der Krankenhausträger und der Kostenträger zum Thema machen. Neben der sehr persönlichen Betroffenheit der Mitarbeiter*innen der Klinik sehen wir darin auch einen möglichen Dammbruch für die teil- und vollstationäre Versorgung im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Berlin, 25.11.2021

Notwendigkeiten für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Hilfen für Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern in Anlehnung an die Empfehlungen der AG KipkE

 

mitgezeichnet durch die DGKJP

 

Stellungnahme der DGKJP zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verordnung zur Änderung der Pflegepersonaluntergrenzen- Verordnung vom 20. September 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Sorge betrachten wir seitens der wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie den Abschnitt im Referentenentwurf, der sich auf Stationen für Kinderpsychosomatik an pädiatrischen Kliniken bezieht. Wir entnehmen dieses bei noch fehlender DRG-Liste der Erwähnung der „Indikatoren-DRGs der Neuro- und Sozialpädiatrie“ in der Begründung des Referentenentwurfs, da die OPS 9-403: „Sozialpädiatrische, neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie“ zusammenfasst.

Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, obliegt es der Landeskrankenhausplanung der jeweiligen Bundesländer zu bestimmen, in welchem Abrechnungssystem die – anders als bei Erwachsenen nicht durch ein eigenes Fachgebiet ausgewiesene – Kinderpsychosomatik verortet ist. So rechnen beispielsweise entsprechende Stationen ihre Leistungen in Baden-Württemberg sämtlich über das DRG-System ab (U 43 Z und OPS 9-403: Sozialpädiatrische, neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie), in Hessen über das PEPP-System mit den Psych-OPS 9-65 ff, in Bayern ist das Entgeltsystem frei wählbar. Aus Praktikabilitätsgründen (um nicht verwaltungsseitig mit zwei Systemen arbeiten zu müssen) werden die an Kinderkliniken verorteten Kinderpsychosomatik-Stationen überwiegend im DRG-System geführt. Die meisten der Stationen werden interdisziplinär zwischen Kinderärzt*innen und Kinder- und Jugendpsychiater*innen geleitet. Unser Fachgebiet, wie auch aus dem Namen unserer Fachgesellschaft hervorgeht, ist qua Definition auch für die Psychosomatik bei Kindern und Jugendlichen zuständig, hier besteht mit den Kinderärzt*innen eine gemeinsame Schnittmenge.

Nun ist unter den Strukturmerkmalen der OPS 9-403 ein multiprofessionelles Team aufgeführt, das unter anderem aus „(Heil-)Erziehern“ bestehen soll. Erzieher*innen formen diesbezüglich gemeinsam mit den Pflegekräften das „Pädagogisch-Pflegerische Team“, das sich die Tag- und Nachtschichten teilt.

Würden Sie nun in den „speziellen Abteilungen“ wie etwa einer 10 Betten-Psychosomatik einen Mindestschlüssel an Pflegekräften von 6:1 im Tagdienst einführen, würden Sie – da Personen nicht teilbar sind – die Anwesenheit von Erzieher*innen im Team quasi verunmöglichen (die Mindestbesetzung liegt auf einer 10-Betten-Kinder-Psychosomatikstation in aller Regel tagsüber bei 2 Vollkräften). Die entsprechenden Stationen sähen sich somit der Problematik ausgesetzt, die Strukturvoraussetzungen des OPS infolge der PPuG nicht mehr erfüllen zu können, wenn man die „pädagogisch-pflegerischen Teams“ quasi zugunsten des Pflegepersonals umstrukturieren muss. Auch würde diese Vorgabe das Erstellen von Schicht- und Besetzungsplänen enorm erschweren. Es sei darauf hingewiesen, dass in der für die Fachabteilungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie gültigen Personalvorgaben der PPP-RL aus genau diesen Gründen KEINE Vorgaben hinsichtlich der Präsenz von Pflegekräften versus pädagogischen Fachkräften machen und dort – ebenso wie die OPS 9-403 – eine Reihe von Berufsgruppen aufgelistet sind. Das macht sehr viel Sinn, da pädagogische Kompetenz in der stationären Behandlung psychisch und psychosomatisch erkrankter Kinder unverzichtbar ist.

Wir fordern die Bundesregierung somit dringend auf, die PpUG auf die Indikatoren-DRG U41Z mit der OPS 9-403 „Sozialpädiatrische, neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie“ nicht anzuwenden, da daraus für die Patient*innen eine qualitative Verschlechterung, keine Verbesserung resultieren würde.

Der DGKJP-Vorstand

Berlin, 30.09.2021