Ambulante psychotherapeutische Versorgung
Stellungnahme zum Zwischenbericht vom 02.03.2020 zur Entwicklung einer Patientenbefragung für das Qualitätssicherungsverfahren zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gesetzlich Krankenversicherter
erarbeitet durch die Gemeinsame Kommission Psychotherapie
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) im Mai 2018 mit der Entwicklung von Indikatoren und Instrumenten eines einrichtungsübergreifenden, sektorspezifischen Qualitätssicherungsverfahrens inklusive Patientenbefragung zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gesetzlich Krankenversicherter (abgekürzt mit „QS Verfahren Ambulante Psychotherapie“) beauftragt. Es soll ein entsprechendes QS Verfahren zur Messung und vergleichenden Darstellung der Prozess- und – soweit sachgerecht abbildbar – der Ergebnisqualität für die Qualitätsförderung entwickelt werden. Das QS-Verfahren soll unabhängig von der spezifischen Diagnose der Patientinnen und Patienten sowie unabhängig vom angewandten psychotherapeutischen Verfahren Erwachsene erfassen, die im Rahmen einer Richtlinienpsychotherapie von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Kurz- oder Langzeittherapie behandelt werden.
Gesetzliche Grundlage dazu sollen § 135a SGB V (Verpflichtung der Leistungserbringer zur Qualitätssicherung) und § 136 (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung) sein.
Zum Zeitpunkt der Beauftragung des G-BA 2018 wurde für ambulante Richtlinientherapien noch das Gutachterverfahren nach §92 SGBV als u.a. qualitätssichernde Maßnahme durchgeführt. Es bleibt offen, ob der vorliegende Forschungsauftrag zur Entwicklung einer Patientenbefragung noch in Ergänzung zum Gutachterverfahren vorgesehen war, oder schon auf die neuen gesetzlichen Regelungen im § 92 Abs. 6a Satz 6 des SGB V und des §136 (2a) hinzielte. Im vorliegenden Konzept haben diese gesetzlichen Änderungen jedenfalls noch keine Berücksichtigung gefunden.
Das wird auch daran deutlich, dass der vorliegende Entwurf nur für ambulante psychotherapeutische Leistungen und Richtlinientherapien laut Psychotherapie-Richtlinie mit Erwachsenen konzipiert ist und nur für Einzeltherapie. Gruppentherapien und Kombinationsbehandlungen finden keine Berücksichtigung, ebenso nicht das gerade neu in der Psychotherapie-Richtlinie aufgenommene Verfahren der Systemischen Therapie.
Zusätzlich wird noch eine weitere Einschränkung der Zielgruppe der erwachsenen Patienten vorgenommen, indem nur Erwachsene ab 18 Jahren, die von Psychotherapeuten mit Qualifikation für die Behandlung von Erwachsenen behandelt werden, berücksichtigt werden sollen.
In Punkt 1.2 des Dokuments wird dazu näher erläutert:
Als Zielgruppe des Verfahrens werden gesetzlich krankenversicherte Erwachsene (ab 18 Jahren) benannt. Gemäß § 1 Abs. 4 Psychotherapie-Richtlinie können Patientinnen und Patienten bis zu einem Alter von 21 Jahren von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten (KJP) weiter behandelt werden, wenn zuvor eine mit Mitteln der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie begonnene psychotherapeutische Behandlung erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen werden kann. Aufgrund der Besonderheiten dieser Konstellationen und vor dem Hintergrund der speziellen Ausrichtung der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie werden diese Fälle bei der Entwicklung des QS-Verfahrens und somit auch bei der Entwicklung der Patientenbefragung nicht berücksichtigt. Daher wurde bereits das Qualitätsmodell, das den Rahmen für die Entwicklung des QS-Verfahrens bildet, explizit für die Erwachsenentherapie abgeleitet. Der Fokus liegt folglich ausschließlich auf der Erwachsenentherapie.
Leider wird hier §1 Abs. 4 der Psychotherapie-Richtlinie falsch zitiert! Patienten und Patientinnen können nicht „bis zu einem Alter von 21 Jahren, wenn zuvor eine mit Mitteln der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie begonnene psychotherapeutische Behandlung erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen werden kann“ von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und therapeutinnen behandelt werden, sondern der §1 Abs. 4 der Psychotherapie-Richtlinie sagt in Satz 1 und 2:
§1(4) 1Im Sinne dieser Richtlinie sind Kinder Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind und Jugendliche Personen, die 14 Jahre, aber noch nicht 21 Jahre alt sind. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist ausnahmsweise auch dann zulässig, wenn zur Sicherung des Therapieerfolgs bei Jugendlichen eine vorher mit Mitteln der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie begonnene psychotherapeutische Behandlung erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen werden kann.
Damit ist in der Psychotherapie-Richtlinie der „Jugendliche“ bis zum Alter des vollendeten 21. Lebensjahres definiert, was bedeutet, dass diese Altersgruppe regelhaft und nicht nur in Ausnahmefällen von Kinder- und Jugend(lichen)psychotherapeuten behandelt wird und nur der Ausnahmefall über das 21. Lebensjahr hinaus zur Sicherung des zuvor eingetretenen Therapieerfolgs besonders begründet werden muss – z. B. im Gutachterverfahren.
Wenn also im vorliegenden Konzept Patienten und Patientinnen der Altersgruppe zwischen 18 und 21 Jahren nur von Erwachsenentherapeuten befragt werden sollen, wird diese Altersgruppe deutlich unterrepräsentiert sein und das Vorgehen entspräche nicht der ambulanten Versorgungsrealität. Eine ausschließliche Befragung der Erwachsenentherapeuten würde für die Altersgruppe der 18- bis 21-jährigen Patientinnen und Patienten ein nicht repräsentatives Bild ergeben. Es wäre konsequenter dann erst Patienten ab dem 21. Lebensjahr zu befragen, wenn die Beschränkung auf die Erwachsenentherapie beibehalten werden sollte.
Obwohl die von unserer Fachgruppe der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie behandelten Patientinnen und Patienten nach dem vorliegenden Entwurf nicht befragt werden sollen, möchten wir vor dem Hintergrund der geplanten qualitätssichernden Maßnahmen laut §92 und §136a SGB V nach 2022 einige inhaltliche Anmerkungen zum dargestellten Qualitätsmodell mit Qualitätsaspekten und Qualitätsmerkmalen für die Patientenbefragung machen. Diese werden als eine von drei Grundlagen der zu entwickelnden Qualitätsindikatoren dargestellt – neben den noch zu erfragenden Qualitätsindikatoren auf Basis einer Qualitäts-Dokumentation der Therapeuten und Sozialdaten von Krankenkassen.
Die entwickelten Qualitätsaspekte und -merkmale erscheinen aufgrund wissenschaftlicher Ergebnisse und der Expertise verschiedener Fokusgruppen und Experten differenziert erarbeitet und entsprechen weitgehend der täglichen Praxis der Arbeit der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit ihren Patientinnen und Patienten und wesentlichen Aspekten des Gutachterverfahrens. Allerdings ist zu befürchten, dass ein auf der Basis des vorgestellten Qualitätsmodells noch zu entwickelnder Fragebogen an Patienten und Patientinnen für die ambulante Praxis in der Versorgung viel zu umfangreich werden könnte. Es bleibt offen, welche Anzahl von Fragen oder Qualitätsindikatoren aufgrund der dargestellten Qualitätsmerkmale zu erwarten ist und wie praktikabel eine Umsetzbarkeit in der Praxis sein könnte. Auch wird nicht deutlich zu welchen Zeitpunkten der Therapie die Fragebögen mit Patienten und Patientinnen eingesetzt werden sollen, wobei der Zeitpunkt abhängig vom Therapieprozess und -fortschritt großen Einfluss auf die Ergebnisse haben kann, da das Erinnerungsvermögen der Patienten begrenzt ist.
Eine im vorliegenden Entwurf vorgesehene Nutzung der Aussagen von Patienten in der ambulanten Versorgung zur Beurteilung der Arbeit einzelner Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen und zum Vergleich dieser untereinander lehnen wir aus methodischen Gründen strikt ab. Das könnte dazu führen, dass schwer kranke Patientinnen und Patienten mit komplexen Störungen, welche nur langsame Therapiefortschritte machen und entsprechend weniger Erfolg beim Therapeuten sehen, weniger Chancen auf Therapieplätze hätten als gesündere Patienten mit guter Beziehungsfähigkeit, Compliance und schnelleren Erfolgen in Therapien, da Therapeuten sonst negative Bewertungen oder sogar Sanktionen befürchten müssten.
Um den aktuellen Gesetzesvorgaben des SGB V mit dem Ersatz des Gutachterverfahrens durch qualitätssichernde Maßnahmen nach 2022 Genüge zu tun, müssten zusätzlich zu dem hier vorgelegten Instrument außerdem Qualitätsindikatoren für Gruppen- und Kombinationstherapien mit Erwachsenen, für Systemische Therapie mit Erwachsenen (auch im Mehrpersonensetting) und für Kinder mit ihren Bezugspersonen und für Jugendliche mit Bezugspersonen in allen Settings und Verfahren entwickelt werden und mit entsprechenden Fragebogen evaluiert werden. Dabei weisen wir vor allem darauf hin, dass die Entwicklung der Qualitätsindikatoren für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen und ihre Bezugspersonen nicht einfach übertragen, sondern mit ebensolcher Sorgfalt und Expertise der Patienten- und Expertengruppen durchgeführt werden muss wie bei Erwachsenen.
14. April 2020