10|02|2025

Aktuelle Thesen zur Strafmündigkeit durch den CDU Generalsekretär

Gemeinsame Stellungnahme

der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie (DGKJP), der Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BAG KJPP) und des Berufsverbands für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP) 

zu

aktuellen Thesen zur Strafmündigkeit durch den CDU-Generalsekretär

Kinder können Taten begehen, die ab 14 Jahren auch strafrechtlich geahndet werden. So kann es auch dazu kommen, dass andere durch ein Kind zu Tode kommen. Es gab immer wieder solche Fälle, und diese führen zu großer Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Dies war auch in den letzten Jahren der Fall, und mehrfach wurde die Absenkung des Alters der Strafmündigkeit als eine Lösung geäußert, um solche Taten zu verhindern. Seitens der Fachexpert:innen ist klar, dass dies nur eine „Schein-Lösung“ wäre, und dies wurde in der Fachöffentlichkeit, aber auch in den Medien breit kommuniziert.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Solche Taten sind schrecklich, die Angehörigen der Opfer leiden extrem und jeder Fall ist ein Fall zu viel.

Diese Taten aber im Wahlkampf zu nutzen, noch dazu in einer Parallele zu anderen schrecklichen Ereignissen mit einer Interviewaussage

„Wir müssen reagieren“, (Linnemann bei WELT TV). Er sei es leid, ständig über das Thema zu sprechen, ohne dass etwas passiere. „Die Schweiz hat es auch gesenkt.“ (Welt online, abgerufen 07.02.2025, 18:25 Uhr)

zu kommentieren, ist für uns als Fachexpert:innen nicht nachvollziehbar, es ist vielmehr erschreckend. Eine solche Simplifizierung, Emotionalisierung und auch Vermengung von Themen halten wir – trotz Wahlkampf – für nicht vertretbar.

Überdies verbreitet Herr Linnemann hier „fake news“ – die Schweiz hat das Strafmündigkeitsalter nicht gesenkt. Sie hat es vielmehr ab 2007 von 7 Jahren auf 10 Jahre angehoben.
Bisher war die CDU/CSU immer offen für Beratung aus der Wissenschaft und durch die jeweiligen Expert:innen. Wir sehen hier eine erschreckende Entwicklung hin zu einem Populismus – auf dem Rücken von Minderjährigen! Wir hoffen dringend, dass hier auch die CDU/CSU sich wieder auf ihren bisherigen Kurs besinnt, im Dialog mit entsprechender Expertise Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir würden uns eher wünschen, dass die CDU/CSU auch in anderen Kontexten mit solcher Empörung reagiert, etwa wenn es um den allgemeinen Gewaltschutz von Kindern und Jugendlichen, auch im digitalen Raum etc., geht. Es wäre erfreulich, aber sicher nicht so öffentlichkeitswirksam, wenn das Generalsekretariat der CDU sich auch hier öffentlich äußern würde und entsprechende Konzepte für das Aufwachsen von Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen vorlegen könnte.

Angefügt ist eine Sammlung von Fakten zu der Thematik von Delinquenz bei Minderjährigen. Wir hoffen, dass die negative Emotionalisierung im Wahlkampf zu Themen, die Minderjährige betreffen, beendet wird. Eine solche Tendenz gab es bereits vor ca. 20 Jahren. Probleme gelöst hat sie auch damals nicht.

Facts:

Gewalttaten bei Minderjährigen sind meist impulsive Taten, bei denen die Fähigkeit, das Unrecht der Tat zu sehen und die Folgen des Handelns abzuschätzen und das eigene Handeln entsprechend zu steuern, entwicklungsbedingt nicht mit Erwachsenen vergleichbar ist. Diese im § 3 JGG niedergelegte Erkenntnis gilt zu Recht EU-weit als vorbildlich und wurde in das Jugendstrafrecht anderer Staaten übernommen.

Schwere Gewalttaten durch unter 14-Jährige sind in diesem Altersabschnitt extrem selten, erregen aber die mediale Aufmerksamkeit.

Eine abschreckende Wirkung durch eine Altersabsenkung der Strafmündigkeit ist weder belegt noch wahrscheinlich, auch aufgrund der hohen entwicklungsbedingten Impulsivität.

Der oberflächliche Vergleich mit anderen Ländern ist unredlich. Hierzu müsste dann ggf. auch das gesamte System des Jugendstrafrechts einbezogen werden. Das beliebte Beispiel der Schweiz „sperrt Kinder“ eben nicht weg, sondern sieht Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen (wie in Deutschland) vor, jedoch ist das System hierzu um ein vielfach Höheres mit finanziellen Mitteln ausgestattet als in Deutschland. Inhaftierung ist in der Schweiz erst ab dem Alter von 15 Jahren möglich – anders als bei uns, wo dafür die Untergrenze von 14 Jahren gilt.

Berlin/ Mainz/ Schleswig, 10.02.2025

Prof. Michael Kölch
Präsident DGKJP

Dr. Marianne Klein
Vorsitzende BAG KJPP

Dr. Gundolf Berg
Vorsitzender BKJPP

 

Weitere Literatur:

Bahm, C. (ism gGmbH), Holthusen, B. (DJI), Lohse, K. (DIJuF), Kölch, M. (DGKJP), Müller, H. (ism gGmbH). Was tun mit Kindern, die delinquent werden? Was die Kinder- und Jugendhilfe leisten kann und was sie dazu braucht. Dokumentation zum digitalen Fachgespräch am 12.06.2023, https://www.ism-mz.de/fileadmin/uploads/Veranstaltungen_2023/Digitales_Fachgespr%C3%A4ch_Kinder-_und_Jugenddelinquenz/Dokumentation_Fachgespr%C3%A4ch_Was_tun_mit_Kindern_die_delinquent_werden_ism.pdf

Holthusen, B. (2023). Delinquenz im Kindesalter – Phänomen und pädagogische Herausforderungen. ZJJ-Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 34 (3), S. 242-250;

Kölch, M. (2024). Delinquenz von Minderjährigen aus kinder- und jugendpsychiatrischer und -psychotherapeutischer Sicht. ZJJ-Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, 35 (1), S. 36-41

Schepker,R. (2023). Würde eine Senkung des Strafmündigkeitsalters irgendein Problem lösen? Einige Gedanken. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2023), 51 (4), 337–339 https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000938

Stellungnahme herunterladen